Finger weg von Jungvögeln
Warnung vor voreiliger Tierliebe
Ästlingsphase
„Ästlinge“ nennt man Jungvögel, deren Gefieder noch nicht voll entwickelt ist, die jedoch schon „flattern“ können und ihr Nest aktiv verlassen – eine Sicherheitsmaßnahme, um nicht noch länger von möglichen Feinden im Nest entdeckt zu werden. Ästlinge suchen Deckung in der nahen Vegetation und halten Rufkontakt zu ihren Eltern und Geschwistern. Viele Berliner*innen sorgen sich um die vermeintlich hilfsbedürftigen Amseln, Meisen, Grünfinken oder Sperlinge und wenden sich an uns. Unser Ratschlag lautet: Finger weg!
Die Situation richtig einschätzen
Wer unsicher ist, ob ein am Boden sitzender Jungvogel in Not ist, sollte ihn genau betrachten. In der Regel verhalten sich die Jungvögel still, denn sie wollen nicht entdeckt werden. Sind sie zugefiedert? Können sie stehen, hüpfen und (ungeschickt) flattern? Sind die noch kurzen Schwanzfedern schon zu sehen? Dann lassen Sie die jungen Vögel dort, wo sie sie gefunden haben und entfernen Sie sich zügig. Die Jungen sind nicht verlassen! Sie werden außerhalb des Nests von ihren Eltern beschützt und mit Futter versorgt. Greift der Mensch in dieser sensiblen Phase ein, begeht er „Kindsraub“. Werden solche Vögel mitgenommen und handaufgezogen, können wesentliche Verhaltensweisen, die ihnen das Überleben ermöglichen, wie Nahrungsfindung oder Feindverhalten, nicht erlernt werden. Mehr oder weniger laute Bettel- oder Kontaktrufe gelten nicht uns Menschen, sondern dienen der Kommunikation zwischen Jung- und Altvögeln.
Wann ist Hilfe nötig?
Wenn sich Ästlinge in der Nähe oder gar auf der Fahrbahn einer Straße befinden oder anderen Gefahrenquellen ausgesetzt sind, hilft der beherzte Transport in das nächste Gebüsch oder in einen niedrigen Baum in unmittelbarer Umgebung des Fundorts. Durch die Kontaktlaute finden sich Alt- und Jungvögel. Der Geruchssinn spielt dabei keine Rolle – Vögel nehmen auch von Menschen angefasste Junge problemlos wieder an!
Wer Hauskatzen besitzt, sollte seinen Stubentiger in der Brutzeit (für die nächste Zeit) im Haus halten oder ihm nur begleiteten Freigang gewähren, da Jungvögel ihnen sehr oft zum Opfer fallen. Katzenbisse sind hochinfektiös, sodass Vögel auch bei kleinen Verletzungen verenden.
Finger weg von Jungvögeln!
Besonders tragisch ist es, wenn Bürger*innen sich bei der NABU-Wildvogelstation melden, weil sie mit den eingesammelten und bei sich zu Hause gehaltenen Vögeln und deren Versorgung überfordert sind. Werden Jungvögel nicht mit dem artgerechten Futter versorgt, bleiben Entwicklungsschäden an Knochen, Schnabel und Gefieder zurück, die den Jungvogel flugunfähig machen und sich erst bei korrekter Fütterung mit der nächsten Mauser auskurieren lassen. Außerdem sorgt eine Unterbringung im handelsüblichen Vogelkäfig dafür, dass die Jungvögel beim hektischen Hin- und Herflattern ihr Gefieder an den Metallstangen zerstören. Gerade bei größeren Vögeln wie Nebelkrähen, kann das die Auswilderung um viele Monate verzögern. Vögel haben ans Greifen von Ästen angepasste Zehen. Werden sie frei in der Wohnung gehalten, sitzen sie meist auf ebenen Flächen, was zu einer Deformation der Zehen führt. Diese langwierigen Behandlungen unter fachkundiger Betreuung sind zeit- und kostenintensiv. Und häufig kann der Schaden nicht mehr gut gemacht werden.
Überleben die Vögel eine private Handaufzucht, sind sie meist fehlgeprägt und weisen keine Fluchtdistanz mehr auf. Darum appelliert der NABU Berlin an alle Berliner*innen, nicht in den Rhythmus der Natur einzugreifen und das Tier zum Opfer zu machen. Ausnahmen sind natürlich offensichtlich verletzte (Jung)-vögel. In diesem Fall hilft ein Anruf in der Wildvogelstation oder bei der Wildtierberatung. Die Experten stehen Ihnen beratend zur Seite.