Kreative Lösungen statt Neubau um jeden Preis
NABU Berlin gemeinsam mit dem Berliner Mieterverein und der Architektenkammer Berlin
Berlin, 26. Januar 2023 – Der Wohnungsbau in Berlin ist Wahlkampfthema Nummer Eins. Dabei möchten die SPD und andere Parteien an der Zielmarke von 20.000 Wohnungen pro Jahr festhalten und primär auf Neubau setzen. Deshalb fordern NABU Berlin, Berliner Mieterverein und Berliner Architektenkammer die Politik nun auf, ihre Prioritäten und Zielmarken im Wohnungsbau zu überdenken und das Potenzial von bereits versiegelten Flächen besser zu nutzen.
„Wir brauchen keine Wohnungspolitik, die blind auf Neubau setzt“, sagt Juliana Schlaberg, Naturschutzreferentin des NABU Berlin, „wir brauchen jetzt kreative Lösungen, damit uns ein sozialer und ökologischer Wohnungsbau gleichermaßen gelingt. Das kann beispielsweise das Überbauen auf Dächern von Autohäusern sein, aber auch die Modernisierung von vorschnell zum Abriss freigegebenen Wohnungen. Auch über den Umbau von Wohnungen mit gerechterer Pro-Kopf Verteilung der Wohnfläche müssen wir diskutieren.“
Bauen potenziell auf mehr als 1.140 Hektar versiegelter Fläche möglich
Dass genügend Baupotenzial auf asphaltierter Fläche existiert, zeigt der NABU Berlin in seinem gerade aktualisierten Positionspapier „Stadtnatur statt Versiegelung“. Ganze 1.140 Hektar Fläche – mehr als drei Mal so viel wie die Fläche des Tempelhofer Feldes – stehen potenziell für eine Bebauung zur Verfügung. Dabei handelt es sich vorrangig um große Parkplätze, einstöckige Supermärkte oder Autohäuser. „Ausreichend Frei- und Grünflächen in der Stadt sind nicht nur für den Klimaschutz notwendig, sie sind auch das Zuhause vieler bedrohter Tier- und Pflanzenarten, sowie für die Lebensqualität der Berliner*innen essenziell“, so Schlaberg. Das bedeute große Freiflächen wie die Elisabeth-Aue, das Tempelhofer Feld oder die Berliner Friedhöfe, aber auch begrünte Innenhöfe von Bebauung freizuhalten.
Abriss meist nicht sozial und unökologischer als Neubau
Auch Dr. Ulrike Hamann, Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins, legt Wert auf Grünflächen in der Stadt: „Besonders für Mieter*innen, die sich keinen Garten oder Balkon leisten können, sind Freiflächen als Naherholung wichtig. Und wir brauchen Sie, um Überhitzung der Stadt zu reduzieren und die Wohnungen mit Frischluft zu versorgen.“ Daher seien Bauprojekte auf bereits versiegelten Flächen bei der Nachverdichtung zu bevorzugen.
Weitere Baupotenziale sieht Hamann bei Wohnungen, die momentan meist ohne Überprüfung als unbewohnbar deklariert und zum Abriss freigegeben werden: „Abriss muss zur absoluten Ausnahme werden, denn er verdrängt nicht nur alteingesessene, oft Menschen mit kleinen Einkommen und Renten aus den Innenstadt-Kiezen, sondern ist meist auch deutlich unökologischer als eine Modernisierung der Bestandswohnanlage!“
Theresa Keilhacker, Präsidentin der Architektenkammer Berlin, pflichtet bei: „Wir möchten dem Abriss erhaltenswerter Bausubstanz Einhalt gebieten. Dafür braucht es eine kluge, umweltbewusste Novellierung der Bauordnung, wie wir sie schon lange fordern.“ Die Änderung der Bauordnung soll in diesem Punkt vor allem den zuständigen Behörden helfen, im Rahmen einer verpflichtenden Prüfung einzuschätzen, ob ein Abrissantrag die Kriterien der Ressourcen- und Klimaschonung erfüllt. „Das heißt: Bestandsertüchtigung vor Neubau“, so Keilhacker. „Unsere Mitglieder sind möglichst schon in den frühen Projektphasen einzubinden, um differenzierte Machbarkeitsstudien zu einer ressourcenschonenden Bestandsertüchtigung zu erarbeiten, die zu einem qualitätsvollen, wirtschaftlich angemessenen und für Nutzerinnen und Nutzer zukunftsfähigen Ergebnis führen.“
Der Umbau von bereits existierenden Gebäuden und die Umverteilung von Wohnfläche ist dem Berliner Mieterverein ein weiteres Anliegen. Denn besonders bei Abriss würden kleinere, bezahlbare Wohnungen durch Wohnungen ersetzt, die weit teurer sind und mehr Wohnfläche pro Kopf aufweisen. Zahlen des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg bestätigen: Während die Haushaltsgröße seit Jahren stagniert (rund 1,8 Personen pro Haushalt), hat sich die Pro-Kopf-Wohnfläche seit 1991 von 33,8 m² auf 39,6 m² erhöht. „Gerechtes Wohnen kann nur gelingen, wenn Wohnraum bezahlbar und die geschaffene Wohnfläche auch fair unter den Bürger*innen aufgeteilt wird“, sagt Hamann.
Am 25. Februar 2023 findet unter dem Motto „Verbauen wir uns die Zukunft? Stadtentwicklung in Zeiten von Artensterben und Klimakrise“ der vom NABU Berlin veranstaltete 22. Berliner Naturschutztag statt. Neben Sprecher*innen des Bodenverbands und der Regenwasseragentur wird auch Theresa Keilhacker zum Thema „Bauen und biologische Vielfalt“ referieren.
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