Höchste Zeit für eine „Bauwende“
22. Berliner Naturschutztag 2023
„Verbauen wir uns die Zukunft? - Stadtentwicklung in Zeiten von Artensterben und Klimakrise“
Sicherlich war die Leitfrage des Naturschutztags als Provokation gemeint, aber im Laufe der Veranstaltung verdichtete sich der Eindruck, dass die zugespitzte Formulierung die Realität vielleicht doch ganz zutreffend beschreibt. Zu Beginn erinnerte Professor Felix Creutzig vom „Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change“ an die gewaltigen Herausforderungen, vor denen die Menschheit und damit auch Berlin angesichts der Klimakrise stehen.
Wie schwer Klimaschutz mit der Berliner Baupolitik in Einklang zu bringen ist, verdeutlichte er anhand einer Zahl: Allein um die vom Senat angestrebten 200.000 Wohnungen bis 2030 zu bauen, würde Berlin 25 Prozent des CO2-Budgets aufzehren, das der Hauptstadt bei Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels noch zusteht. Und während im Bereich der Energieversorgung deutliche Erfolge zu verzeichnen sind, hinken Bau, aber auch Gebäudenutzung und ganz besonders der Sektor Mobilität den Klimazielen weit hinterher. Creutzig hob zudem die Bedeutung des Stadtgrüns für ein erträgliches Klima hervor und wies darauf hin, dass auch Stadtbäume einen global relevanten Beitrag zur Bindung von CO2 leisten können.
Wo noch gebaut werden kann, ohne Grünflächen zu opfern, erläuterte NABU-Naturschutzreferentin Juliana Schlaberg: 1.280 Hektar versiegelte Potenzialflächen hat der NABU Berlin mittlerweile ausgemacht, die entweder bebaut oder aber entsiegelt werden könnten. Wie wichtig gerade Entsiegelung angesichts der Klimakrise ist, erklärte Dr. Darla Nickel, Leiterin der Berliner Regenwasseragentur: Für das Ziel einer „wassersensiblen Stadt“ muss der oberflächliche Ablauf von Regenfällen gebremst werden, das Wasser soll zurückgehalten werden und versickern. Das aber geschieht naturgemäß nicht auf versiegelten Flächen. Doch während bei Neubauten Versickerungsmulden und ähnliche Anlagen mittlerweile Standard sind, hapert es bei der angestrebten Entkoppelung der Bestandsbauten vom Kanalisationsnetz.
Theresa Keilhacker, Präsidentin der Berliner Architektenkammer, forderte eine „Bauwende“: Statt alte Gebäude durch Neubauten zu ersetzen, gelte es, künftig bestandserhaltend zu bauen, Gebäude umzunutzen und Baustoffe zu recyceln. Um dieses Ziel umzusetzen, sei die Weiterbildung von Architekt*innen zum Thema klimaschonendes Bauen eine wichtige Voraussetzung.
Die Sachverständige Ulrike Meyer wies auf die Bedeutung eines oft übersehenen Guts hin: des Bodens und seiner Funktionen als Lebensraum, Filter, Puffer und Teil der Wasser- und Nährstoffkreisläufe, deren er bei Versiegelung beraubt wird. Susann Karlebowski vom Berliner Naturkundemuseum schilderte eindrücklich, dass selbst kleine Gärten in der Stadt wichtige Trittsteinbiotope sind und Nina Dommaschke und Imke Wardenburg vom NABU-Projekt „Artenschutz am Gebäude“ stellten die Ergebnisse ihres Ersatzlebensstätten-Monitorings vor: Künstliche Nisthilfe und Fledermausquartiere funktionieren, so das erfreuliche Ergebnis, man sollte bei der Anbringung jedoch auf einen Mindestabstand zu benachbarten Nistkästen achten.
Zum Abschluss referierte der grüne Abgeordnete Julian Schwarze über die novellierte Bauordnung, deren Entwurf gute Ansätze zum Klima- und Artenschutz enthält, aber seit geraumer Zeit beim Bausenator in der Schublade liegt. Denn wenn tatsächlich gebaut werden muss, auch das zeigte der 22. Berliner Naturschutztag, gibt es vielfältige Möglichkeiten, das Gebäude so klima- und naturverträglich wie möglich zu gestalten – man muss sie nur umsetzen.