Foto: Wulf Geißler
Flächensicherung und Naturschutz in der wachsenden Stadt
18. Berliner Naturschutztag 2017
„Für mich ist Naturschutz vor allem eine Frage der Ethik“, sagt Rainer Altenkamp, 1. Vorsitzender des NABU Berlin. „Dennoch ist auch die Leistung, die Natur für die Gesundheit und das Wohlergehen des Menschen bereit stellt, ein wichtiger Grund, Natur zu erhalten – gerade in der Stadt.“ Beispiele für diese Leistungen der Natur stellte Professor Ingo Kowarik von der TU Berlin eindrücklich dar:
Schon durch einen 50 bis 100 breiten baumbestandenen Park wird die Umgebung um 3-4 Grad abgekühlt und der Luftfeinstaub um circa 5-10 % reduziert. Das ist vor dem Hintergrund, dass etwa 4-5 % der Sterbefälle in Berlin mit der sommerlichen Hitze zusammenhängen, eine entscheidende Aussage für zukünftiges politisches Handeln.
Die Messungen sind Ergebnisse aus dem Verbundprojekt „Naturkapital Deutschland“, in dem über 80 Wissenschaftler*innen die Leistungen der urbanen Natur untersucht und ihre gesellschaftliche Bedeutung auch hinsichtlich des ökonomischen Werts veranschaulicht haben. Das Ergebnis: Fehlt die Natur in der Stadt, entstehen für die Gesellschaft deutlich höhere Kosten. Sowohl Kosten für die Gesundheitsnachsorge als auch für Strukturanpassungen, wenn zum Beispiel Flächen versiegelt werden und dadurch das Wasser aus Starkregenereignissen nicht mehr durch Vegetation und unversiegelte Böden gespeichert wird. „Grün ist Teil der Lösung“, antwortet Kowarik auf die Frage, wie die wachsende Stadt Berlin weiterhin eine lebenswerte Umgebung für ihre Bewohner bieten kann. Dabei spielen sowohl Dach- und Fassadenbegrünung als auch Grünflächen und naturnahe Flächen eine Rolle für die Bereitstellung der Leistungen der Natur.
Für mich ist Naturschutz vor allem eine Frage der Ethik. Dennoch ist auch die Leistung, die Natur für die Gesundheit und das Wohlergehen des Menschen bereit stellt, ein wichtiger Grund, Natur zu erhalten – gerade in der Stadt.
Rainer Altenkamp, 1. Vorsitzender des NABU Berlin
Doch wie die Naturflächen in der Stadt sichern? Stefan Tidow, neuer Staatssekretär der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, dämpft die aus dem Koalitionsvertrag erwachsenen Erwartungen der Berliner Naturschützer. In seinem Grußwort erklärt er, dass nicht nur die Sicherung der grünen Infrastruktur ein Kernanliegen der neuen Regierung sei, sondern auch der Wohnungsbau. Seine persönliche Zwischenbilanz nach drei Monaten im Amt: „Die Senatsverwaltung operiert im Schnittpunkt einer Vielzahl von Zielkonflikten und arbeitet an der Quadratur des Kreises“. Dennoch verspricht er, der Senat werde seine Stimme lauter als in der Vergangenheit für die Natur erheben und für die Natur in Vorleistungen gehen. Es sollen Flächenpools entwickelt, ein Stadtvertrag zur Sicherung wertvoller Grün- und Freiflächen geschlossen und weitere Schutzgebiete ausgewiesen werden. Bleibt zu hoffen, dass der Schutz gelingt. Beim Müggelsee setzt die Senatsverwaltung für Teilbereiche auf eine freiwillige Vereinbarung mit den Nutzern, die entgegen der Forderung des NABU erst nach Verabschiedung der Verordnung ausgehandelt werden soll.
Dass Naturschutz auch in einer Großstadt geht, zeigt der Blick nach Hamburg. Während Berlin lange Jahre den Verlust wertvoller Natur im Rahmen von Bauvorhaben rechtswidrig durch die Anlage von Parks auf Freiflächen ersetzt hat, hat Hamburg den Verlust mit der Entwicklung neuer Naturflächen ausgeglichen – so, wie es der Gesetzgeber vorschreibt. „In den letzten 15 Jahren haben wir 1.175 Hektar Fläche gekauft und für den Naturschutz entwickelt“, berichtet Volker Dinse von der Behörde für Umwelt und Energie in Hamburg. Er ist Geschäftsführer des Sondervermögens für Naturschutz und Landschaftspflege, über das in Hamburg in den letzten Jahren große Heideflächen, Trockenrasen, Feuchtwiesen und Kleingewässer angelegt wurden. Diese Lebensräume leisten einen wesentlichen Beitrag für die Artenvielfalt und die Erholungsnutzung in der Hansestadt.
Auch Berlin besitzt landeseigene Flächen, die unter naturschutzfachlichen Gesichtspunkten entwickelt werden könnten. Dabei richtet sich der Fokus immer wieder auf die 16.500 Hektar Flächen der Berliner Stadtgüter, die in Brandenburg liegen, manche direkt hinter der Landesgrenze. Katrin Stary, Geschäftsführerin der Berliner Stadtgüter GmbH, berichtet, auf 865 Hektar werden bereits Maßnahmen des Naturschutzes umgesetzt – vor allem als Ersatz für Straßenbau in Brandenburg oder Maßnahmen der Deutschen Bahn. Die meisten landwirtschaftlichen Flächen sind vor 10 Jahren langfristig verpachtet worden. „Es ist eine politische Entscheidung des Landes Berlin, weitere Flächen der Berliner Stadtgüter für den naturschutzrechtlichen Ausgleich bereit zu stellen und dafür gegebenenfalls auf Einnahmen zu verzichten“, zeigt Altenkamp eine der Handlungsoptionen der Stadt Berlin auf.
Vor dem Hintergrund der Diskussion über die Sicherung von Flächen stellt der Landschaftsrahmenplan im Bezirk Lichtenberg einen Lichtblick für die Umsetzung von Naturschutz dar. Er schlägt flächenscharf Pflege- und Umsetzungsmaßnahmen für den Naturschutz vor und stellt nach den Erfahrungen von Heinz Nabrowski, Leiter des Fachbereichs Naturschutz und Landschaftsplanung, und Ina Sager, Leiterin des Sachgebiets Landschaftsplanung im Bezirk ein akzeptiertes Werk dar, dass auch in der Stadtplanung berücksichtigt wird.
Wo könnte das Grün denn hinwachsen?
Auch die Verwaltungsebene kam zu Wort. Dr. Michael Gödde, Referatsleiter Naturschutz und Umweltplanung der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz sprach über die Anforderungen und Herausforderungen zum Grünerhalt in der wachsenden Stadt. Und damit zugleich über die bestehende Strategiesammlung, die der Verwaltung bereits vorliegt. Die Herausforderungen lägen einerseits darin sich bewusst zu machen, dass das „was wir in Berlin unter biologischer Vielfalt betrachten und entwickeln müssen, in Berlin eine andere Qualität hat“. Andererseits verwies Gödde darauf, dass die Verwaltung mehrere Stränge parallel denken und behandeln müsse. Die Raumkonkurrenz werde weitergehen und sich auch durch die geplante „Charta Stadtnatur“ nicht ohne weiteres lösen lassen. Ein Masterplan werde benötigt um die grüne Infrastruktur planbar zumachen.
Was zwitschert in den Schutzgebieten?
Berlin startete im Jahr 2003 für die Trauerseeschwalbe sein erstes EU- Vogelschutzgebiet, berichtete Johannes Schwarz, Artenschützer der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. Heute umfassen die fünf berlinweiten Vogelschutzgebiete 5.000 Hektar. Schwarz präsentierte die Bestände aus dem Artenset, welches sich aus den wertgebenden Arten, den Arten der Roten Liste sowie den seltenen Arten ergibt. Besondere Entwicklungen könnten zwar abgeleitet werden, müssen aber immer unter Vorbehalt der Methodik und der externer Faktoren betrachtet werden. Zu den Gewinnern in allen EU-Vogelschutzgebieten Berlins zählt die Hohltaube, hingegen die Offenlandarten ein wenig abgenommen haben und der Kuckuck überall weniger wird. Die Bestände des Sumpfrohrsängers sind europaweit auf einem Abwärtstrend und werden auch in Berlins Schutzgebieten weniger. Besonders erfreulich sind die Bestände des Schwarzspechts im Spandauer Forst und eines Berliner Neulings, der Misteldrossel. Zu dem Eisvogel im Tegeler Fließ gesellt sich unerwarteter Weise die Gebirksstelze, während der Neuntöter am Köppchensee eine Vorreiterrolle einnimmt.
Angenehm unaufgeräumt
Er hat eine gute Presse – Menschen interessieren sich für seine Kulturgeschichte. Zudem ist er zänkisch, frech und das eigentliche Wappentier der Berliner. Seit vielen Jahren schon untersucht die Berliner Ornithologische Arbeitsgemeinschaft den Hausperling auf hohem Niveau. Dr. Jörg Böhner berichtete über die besondere Beziehung des Hausperlings zu Berlin. Die aktuelle Zählung weist rund 152.000 Brutpaare für die Hauptstadt auf – das ist überdurchschnittlich hoch im deutschlandweiten Vergleich. Der Spatz mag es unaufgeräumt und findet im Gegensatz zu anderen deutschen Städten ausreichend Niststätten in alten Gebäuden, natürliche und anthropogene Nahrung und kann diese auch erfolgreich in Reproduktion umsetzen.
Mit diesem letzten Vortrag erinnerte der 18. Berliner Naturschutztages an einen kleinen Vogel, dessen Tschilpen für viele Menschen als selbstverständlich gilt. Vielmehr jedoch ist er als Indikator für eine lebenswerte Stadt zu verstehen ist. „Je unaufgeräumter, desto mehr Sperlinge“, resümierte Jörg Böhner. Damit ist der Spatz seiner Zeit weit voraus.