Der Veranstaltungsraum in der Jerusalemkirche war gut gefüllt. - Foto: Wulf Geißler
FFH-Gebiete und Berliner Naturschutz
17. Berliner Naturschutztag 2016
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In den Vortragspausen nutzten die Besucher die Möglichkeit, sich zu informieren ... - Foto: Wulf Geißler
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...oder auszutauschen. Geschäftsführerin Jutta Sandkühler im Gespräch mit Frank Sieste. - Foto: Wulf Geißler
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Katrin Koch im Gespräch mit Dr. Michael Gödde von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. - Foto: Wulf Geißler
Beruflich engagierte und ehrenamtliche Naturschützer, NABU-Mitglieder, Vertreter der Naturschutzverwaltungen und von Senat und Abgeordnetenhaus informierten sich über ein breites Themenspektrum von der rechtlichen Sicherung der FFH-Gebiete bis hin zu den kalten Schnauzen auf Berlins Beweidungsflächen.
Es ist derzeit das zentrale Thema in Berlin und es blieb auch auf dem jüngsten Naturschutztag nicht unerwähnt: Der Flächenfraß durch Bauvorhaben auf Brach- und Grünflächen, auf ehemaligen landwirtschaftlichen Flächen und sogar auf ehemaligen Friedhöfen Berlins. Moderator und 1. Vorsitzender Rainer Altenkamp erwähnte in seiner Begrüßung, dass die Situation im Vergleich zum Vorjahr an Aktualität nicht verloren, sich vielmehr verschärft hat.
Altenkamp verdeutlichte, dass trotz der dringenden Wohnraum- und Flächenbedarfe Arrangements getroffen werden müssen, die nicht darin münden dürften, einen Volksentscheid rückgängig zu machen. Er kündigte zudem an, dass der NABU Berlin Flächen definieren wird, für die eine Bebauung außer Frage steht, gleichzeitig aber auch die Bereitschaft, die dringende Unterbringung Geflüchteter konstruktiv zu unterstützen.
Von Natur aus städtisch?
Staatssekretär Christian Gaebler (SPD) begrüßte die signalisierte Kompromissbereitschaft des NABU Berlin und verwies auf das Positivbeispiel „Lichterfelde Süd“ bei dem es nach einem harten Aushandlungsprozess (Anm. d. R.: Sowie intensiver Intervention seitens der Verbände) gelungen ist, Wohnraum zu schaffen und zugleich Naturraum zu erhalten. Aber auch der Senat brauche Unterstützung beim Vermittlungsprozess aus der Stadtgesellschaft, so Gaebler. Interessengruppen müssten ihre Vorstellungen formulieren können und so darlegen, dass diese von der Bürgerschaft getragen werden. Als aktuelles Beispiel nannte er die Tangentiale Verbindung Ost. Der Senat sieht bei dem Planfeststellungsverfahren sicherlich noch viel Diskussionsbedarf, befürwortet aber die Ost-Variante als die verträglichste Trassenführung.
Gaebler stellte (EU-)Programme vor, die es dem Senat ermöglichen, die Naturräume in der Metropolregion zu schützen und sie zugleich als Naherholungsgebiete für die Bürger zugänglich zu halten. Insgesamt wurde in seinen Grußworten deutlich, dass die Zivilgesellschaft aufgerufen ist, Verantwortung für Lebensräume zu übernehmen und dass dabei Partizipation gewünscht ist. Aussagen zu der möglicherweise anstehenden Strafzahlung des Landes Berlin aufgrund der mangelnden Ausweisung von FFH-Schutzgebieten machte der Staatssekretär leider nicht.
FFH-Schutzgebiete und ihre Umsetzung
Wie eine solche EU-Sanktion zustande kommt, wurde in den nachführenden Vorträgen deutlich.
Einblicke in Meldeverfahren und die Berichtspflicht zum Zustand der FFH-Gebiete auf deutscher Ebene lieferte Dr. Axel Buschmann vom Bundesamt für Naturschutz. Besonders hilfreich waren seine Erläuterungen für die Nachvollziehbarkeit der Verfahren und Prozesse auf Länderebene. Dr. Michael Gödde von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt zeigte in seinem Vortrag auf, wie sich die Situation derzeit in Berlin darstellt, welche Gebiete bei der Ausweisung und rechtlichen Sicherung Prioritäten besitzen und betonte, wie schwer Naturschutz in einer Metropole sein kann.
Kalte Schnauzen – Beweidung in Berlin
Nachdem die rechtsverbindlichen Ausführungen die Grundlage der Tagesveranstaltung legten, wurde es praktisch und damit offensichtlich, wie weit Planung und Wirklichkeit im Naturschutz auseinanderliegen.
Exemplarisch für den langen Weg der Schutzgebietsausweisung ist der Biesenhorster Sand. Jens Scharon, Artenschutzreferent des NABU Berlin, betonte, dass das Gebiet einmal auf der senatsinternen Prioritätenliste für Schutzausweisungen auf Platz 1. genannt wurde. Dass sich Schutzgebietssicherung und Beweidung nicht nur finanziell ergänzen, sondern auch bei der Bevölkerung auf positive Resonanz stoßen – mit dem Viehauftritt ein politischer Auftrieb und ein begeistertes Publikum verbunden ist – konnte Holger Brandt von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt bildhaft bestätigen. Obwohl die Beweidung von Flächen nicht ohne Herausforderungen ist, hat das Land Berlin Potentialflächen für zukünftige Beweidungsprojekte zusammengetragen. Retten die kalten Schnauzen den Naturschutz indem sie als Sympathieträger die Natur in der Stadt verteidigen?
Das Nachmittagsprogramm war speziell den größeren Wildtieren in Berlin gewidmet: Der Wildtierberatung (durch die Naturschutzreferentin des NABU Berlin Katrin Koch) und ihrer Erforschung (Dr. Anne Berger, Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung). Dr. Jörg Böhner von der Berliner Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft stellte den Vogel des Jahres – den Stieglitz – vor. Noch sei der Distelfink ein Profiteur der städtischen Strukturvielfalt. Aktuelle Untersuchungen belegen, dass der Vogel eine große Population in Berlin aufweist. Langfristige Betrachtungen durchbrechen jedoch diesen Positivtrend. Der Stieglitz ist bereits ein Leidtragender der Intensivlandschaft. Ob ihm neu ausgewiesene FFH - Gebiete innerhalb Berlins zukünftig weiterhelfen werden, bleibt erst einmal ungewiss.