Fehlgeprägtes Stockentenküken
Adoptionsversuch fehlgeschlagen
Anfang Mai wurde ein verwaistes Stockentenküken aufgefunden. Der Finder betreute es drei bis vier Tage mit guter Absicht selbst, allerdings ohne unmittelbare Rücksprache mit einer fachkundigen Einrichtung aufzubauen. Durch den nicht fachgerechten und sehr menschennahen Umgang mit dem Tier entwickelte es eine Fehlprägung auf den Menschen. Die Prägung auf die Elternvögel ist überlebenswichtig und findet normalerweise innerhalb nur eines halben Tages statt.
Entenküken sind stark auf Sozialkontakt mit Artengenossen angewiesen. Eine vorübergehende Betreuung einzelner Fundtiere muss daher dringend so kurz wie möglich gehalten werden. Ein Tag in Einzelbetreuung sollte nicht überschritten werden. Außerdem trug der Finder das Küken stets am Körper, was zwar vermutlich gut gemeint war, aber biologisch nicht notwendig ist und maßgeblich zur Fehlprägung des Kükens auf den Menschen beitrug. Beim Umgang mit Wildtieren ist der Kontakt zu Menschen generell immer nur auf ein Minimum zu reduzieren.
Adoptionsverfahren als Notlösung für verwaiste Stockentenküken
Für verwaiste Stockentenküken, bei denen eine Rückführung in die eigene Familie nicht mehr möglich ist, nutzt die Wildvogelstation als Notlösung das seit vielen Jahren erprobte Adoptionsverfahren. Stockentenküken können hierbei unter Einhaltung gewisser Rahmenbedingungen einer fremden Entenmutter mit eigenen Küken untergejubelt werden. Jedes Jahr siedelt die Wildvogelstation mehr als 130 Stockenten mitsamt ihren Küken um, wenn diese auf einem Balkon gebrütet und sich damit in einer ökologischen Falle befunden hat. Die Umsiedlung ist dann leider oft die einzige Möglichkeit, den Nachwuchs der Entenfamilie sicher ans Gewässer zu bringen. Im Idealfall handelt es sich dabei um das Stammgewässer der Mutterente.
Vor der Freilassung der Entenfamilie wird das verwaiste Entenküken zu den anderen dazugesetzt, unbemerkt von der Entenmutter. Diese kann und wird so nicht zwischen ihren eigenen und fremden Küken unterscheiden. Das Adoptionsverfahren bei verwaisten Stockentenküken ist nahezu immer erfolgversprechend, solange folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
- Die Mutterente nimmt das Zusetzen des neuen Kükens nicht aktiv wahr
- Es handelt sich um ein Küken der gleichen Vogelart
- Das Küken ist unverletzt, mobil und veterinärmedizinisch unauffällig
- Das Küken hat in etwa das gleiche Alter wie die anderen Küken
- Die Gruppengröße übersteigt nicht die natürliche Brutgröße
- Die Küken sind nicht fehlgeprägt und erkennen den Familienverband als Artgenossen an.
Wenn die oben genannten Voraussetzungen erfüllt sind, schwimmen alle Küken – inklusive des verwaisten – hinter der Mutterente her und befinden sich somit im schützenden Familienverband. Adoptionen sind auf diese Weise nahezu immer erfolgreich.
Durch die Fehlprägung in unserem Fall erkannte das Küken die Mutterente und die anderen Küken aber nicht als Sozialverband an. Stattdessen lief es den Uferbereich entlang direkt zurück zum Menschen und suchte den Kontakt zu seinen falsch wahrgenommenen Artgenossen. Die Aufzucht des Kükens erfolgt nun zwangsläufig in einer Pflegestelle. Einige natürliche Verhaltensweisen, auf die das Tier in der freien Wildbahn angewiesen ist, bleiben in diesem Fall leider auf der Strecke. Denn in Menschenhand können sie nur schwer bis gar nicht imitiert werden.
Wildvögel in Not
Unsere Wildvogelstation pflegt jährlich hunderte Wildvögel und entlässt sie wieder in die Freiheit. Um diese Hilfe auch weiterhin möglich zu machen, ist sie auf Spenden angewiesen. Wildvogel-Patenschaften können Leben retten!
Ich will helfen!Jungvögel nicht ohne Kontakt zu fachkundigen Einrichtungen mitnehmen!
Diese Geschichte zeigt einmal mehr, warum Naturschutzverbände wie der NABU jedes Jahr aufs Neue die Bevölkerung dazu aufrufen, Jungvögel nicht einfach aufzusammeln und in Eigenregie zum Teil verheerende Tierversuche zu starten.
Sollten Sie einen Vogel finden, der verletzt ist oder Ihrer Meinung nach Hilfe benötigt, wenden Sie sich bitte umgehend an fachkundige Einrichtungen in Ihrer Region. In Berlin können verletzte Wildtiere in der Klein- und Heimtierklinik der Freien Universität Berlin kostenlos abgegeben werden. Unsere NABU Wildvogelstation berät Sie außerdem telefonisch bei gefundenen Wildvögeln und allen anderen wildvogelrelevanten Themen (Tel.: (030) 54 71 28 92). Umfassendes Infomaterial, Erste-Hilfe-Stellungen und Ansprechpartner finden Sie zudem auf unserer Internetseite.
Text: Ronja Bär, Marc Engler, 28.05.2024
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