Neue Klimastrategie bei Hummeln entdeckt
Vorzeitige Pflanzenblüte durch Blattfraß
Hummeln schlüpfen, beeinflusst durch gegenwärtige Klima- und Umweltveränderungen, teilweise noch bevor Pflanzen in ausreichender Menge Blüten und nahrhaften Pollen tragen. Damit die Pflanzenblüte wieder zeitlich parallel mit der Hauptaktivität der Hummeln verläuft, greifen die pelzigen Insekten, wie eine neue Studie im Fachjournal Science zeigt, nun offensichtlich zu einer bisher noch nicht bekannten und innovativen Methode.
Seit Millionen von Jahren werden Blütenpflanzen durch Insekten bestäubt
Eine der bekanntesten Abhängigkeiten zum gegenseitigen Nutzen ist das Zusammenleben zwischen Insekten und Blüten. Die Pflanzen bieten Nahrung in Form von Nektar und Pollen. Im Gegenzug sorgen die Insekten durch die Übertragung der gesammelten Pollen auf die Narbe, das weibliche Blütenorgan, für die Bestäubung und sexuelle Vermehrung der Pflanzen. Auf diese Weise pflanzen sich weltweit ca. 88 Prozent, in unseren Regionen etwa 80 Prozent, aller Wild- und Kulturpflanzen fort. Diese Pflanzen sind nicht nur die Nahrungsgrundlage zahlreicher Lebewesen, sie stellen für diese auch Lebensräume zur Fortpflanzung und zum Schutz dar. Die Bestäubung stellt so nicht nur direkt die Pflanzenvielfalt sicher, sondern ist auch indirekt für das Zusammenspiel von Flora und Fauna in allen terrestrischen Ökosystemen unabdingbar.
Seit mindestens 110 Millionen Jahren weisen Blütenpflanzen Merkmale auf, die auf eine Insektenbestäubung schließen lassen. Dieses erfolgreich bestehende Verhältnis könnte durch den evolutiv gesehen rasanten Klimawandel ins Wanken gebracht werden. Aufgrund veränderter Umweltverhältnisse ist der zuvor synchrone Rhythmus nicht mehr im Gleichgewicht.
Klimaveränderungen stören Gleichgewicht
Einerseits blühen bestimmte Pflanzen nun schon bevor die Bestäuberinsekten schlüpfen, andererseits werden insbesondere die ohnehin sehr früh im Jahr erscheinenden bestäubenden Insekten, wie beispielsweise die jedes Jahr neue Kolonien gründenden Hummeln, vorzeitig aktiv, noch ehe die meisten Pflanzen blühen. Grundlage für den beobachteten Entkopplungsprozess zwischen Blüte und Bestäuber sind unterschiedliche Zeitgeber. Die Hummelaktivität ist wahrscheinlich eher über die Temperatur gesteuert, während sich die Blütezeit der meisten Pflanzenarten häufig nach der Tageslänge ausrichtet. Bei steigenden Temperaturen sehen sich Hummeln zunehmend, insbesondere zu Beginn der Vegetationsperiode, mit einem Nahrungsmangel konfrontiert.
Polnische Studie bringt erstaunliche Erkenntnisse
So zeigt eine im Zeitraum von 1981 bis 2015 durchgeführte und erst kürzlich in der Fachzeitschrift „Apidologie“ erschienene polnische Studie, dass der Höhepunkt der Flugperiode der vier in Mitteleuropa häufigsten Hummelarten (Dunkle Erdhummel, Steinhummel, Gartenhummel, Ackerhummel) innerhalb der untersuchten 35 Jahre um bis zu 23 Tage vorverlegt wurde. Daher kann es durchaus vorkommen, dass die pelzigen Insekten bereits so früh unterwegs sind, dass sie wenig oder noch gar keine blühenden Pflanzen als Nahrungsgrundlage vorfinden.
Wissenschaftler der ETH (Eidgenössische Technische Hochschule) Zürich haben nun beobachten und untersuchen können, wie sich Hummeln im Umgang mit dieser neu entstandenen Situation und Problematik durch ein außergewöhnliches Verhalten anscheinend selbst aktiv zu helfen wissen: Sie beißen im Umfeld ihrer Kolonien mit ihren Unterkiefern und Rüsseln kreisrunde Löcher in die Blätter der Pflanzen, um diese früher erblühen zu lassen und so die Blüte zeitlich wieder auf ihre Hauptaktivität abzustimmen.
Das bemerkenswerte an dieser erst vor kurzem im Fachjournal „Science“ veröffentlichten Studie war zunächst die Tatsache, dass die Hummeln die abgetrennten Blätterteile nicht weiter verwerteten, weder zum Nestbau noch als Nahrung. Da jedoch andere Untersuchungen bereits gezeigt haben, dass natürlicher Stress, z.B. Trockenperioden, Pflanzen zum frühzeitigen Blühen anregen kann, erforschte das Team um die Ökologieprofessorin Consuelo De Moraes daraufhin in einer Reihe von Experimenten einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Beißen der Blätter und der Pfanzenblüte. Um zu erfahren ob die Hummeln tatsächlich aufgrund von Nahrungsmangel Pflanzen anknabbern, um diese in Stress zu versetzen und erblühen zu lassen, platzierten die Forscher zunächst unter Laborbedingungen hungrige Erdhummelkolonien zusammen mit blütenlosen Pflanzen. Die Wissenschaftler*innen entnahmen die Pflanzen, sobald die Hummeln fünf bis zehn Löcher in die Blätter gefressen hatten. Tomatenpflanzen blühten daraufhin einen ganzen Monat-, Schwarzer Senf immerhin im Durchschnitt um 16 Tage früher als unversehrte Pflanzen. Pflanzen, denen die Forscher mechanisch mithilfe von Rasierklingen Löcher nach dem Muster der Hummeln hinzufügten, blühten zwar etwas früher als heile Pflanzen, aber nicht in dem zeitlichen Ausmaß, wie es die Bisse der Hummeln vermochten.
Eine Kontrollgruppe mit Hummelkolonien, die regelmäßig mit Pollen gefüttert wurden, zeigte, dass diese nur selten die nicht blühenden Pflanzen in den Netzkäfigen beschädigten. Abschließende Untersuchungen unter freiem Himmel bestätigten die Annahme, dass das Anbeißen der Blätter vorwiegend bei Pollenknappheit erfolgte. Sobald für die Hummeln neben den blütenlosen Gewächsen auch blühende Pflanzen zu finden waren, nahmen die Schäden an den Blättern der nicht blühenden Pflanzen deutlich ab.
Nahrungssuche mit Strategie
Demnach haben Hummeln also möglicherweise eine wirksame Technik entwickelt, um auf die Herausforderungen der Umweltveränderungen und den daraus resultierenden Pollenmangel zu reagieren. Welche Reize, ob biochemischer oder olfaktorischer Natur, die Bisse der Hummeln letztendlich verursachen und zum frühzeitigen Erblühen der Pflanzen führen, bleibt jedoch noch ungeklärt. Wie die Rasierklingen der Forscher zeigten, ist es zumindest kein rein mechanischer Prozess.
Festzuhalten bleibt unterdessen, dass die Menschheit wieder von der Natur lernen kann, birgt die neue Entdeckung bei weiteren Erkenntnisssen doch ein unübersehbares Potential für die Landwirtschaft und die Kultivierung von Pflanzen. Gleichzeitig verdeutlicht es aber auch, wie wenig dem Menschen noch über die teilweise extrem komplizierten Wechselwirkungen einzelner Arten bekannt ist. In Anbetracht der Tatsache, dass 2019 laut dem Weltbiodiversitätsrat IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) ungefähr 1 Millionen von den insgesamt 8 Millionen Arten, die auf unserer Erde existieren und in gewisser Weise miteinander interagieren, vom Aussterben bedroht waren, sollte man deshalb auch stets im Hinterkopf behalten wie wichtig die Artenvielfalt und damit jede einzelne Art für das globale Ökosystem Erde ist.