Weil wir wollen, dass sie bleiben
Im Projekt „Niströhre“ baut die BG Treptow-Köpenick ein neues Heim für den Eisvogel am Müggelsee
Da stehen wir – die Welt festgezurrt und scharfgestellt im Sichtfeld eines Feldstecher-Fernglases und folgen jeder Bewegung der winterlich nackten Zweige der Uferböschung, taxieren jeden Zentimeter des scheinbar leblosen Rohrschilfes. Es gibt viele Gründe für Ornitholog*innen, für Vogelliebhaber*innen, in der Morgendämmerung so still an einem vogelreichen Gewässer zu stehen. Vögel – Wesen, die der Schwerkraft mit Leichtigkeit trotzen – sind so faszinierend, dass man nicht umhinkommt, ihnen zu verfallen. Man lernt den Girlitz vom Zeisig unterscheiden, den Zilpzalp vom Fitis und viele andere Vögel sorgfältig zu katalogisieren wie in einer akustischen Bibliothek.
Wieso tut man das nur? Vielleicht ist es dieser eine Gedanke: Vögel sind nicht nur frei, der Schwerkraft zu entkommen, sondern frei von uns. Sie existieren ganz ohne menschliches Zutun, sind unabhängig von unserer Pflege und Aufmerksamkeit. An den meisten Orten in Mitteleuropa muss man sogar sagen: Sie existieren trotz menschlichen Zutuns. Vögel brauchen uns nicht, sie finden ihre Nahrung und bauen ihre Nester ganz ohne unsere Einwilligung oder Unterstützung. Sie sind nicht domestiziert, geradezu gleichgültig uns gegenüber. Wir beobachten sie aus der Ferne und sind gewissermaßen stolz, wenn sie uns dieses Privileg gestatten. Auf einer vom Menschen durch und durch beherrschten Erde ist es vielleicht der größte Trost, dass es die Vögel gibt; umso passender, dass sie sich oft ein paar Meter über dieser Erde aufhalten. Und doch gehören wir in dieselbe Welt. Der Vogel braucht uns nicht, aber unsere Anwesenheit geht nicht spurlos an ihm vorbei. Arten, die vor 50 Jahren noch allgegenwärtig waren, haben nun stark dezimierte und knapper werdende Lebensräume. Zum Beispiel die Bestände der Kiebitze oder Feldlerche, aber auch die der Rauch- oder Mehlschwalbe. Es wäre tragisch, wenn es die einzige Geschichte dieser Zeit wäre. Denn diese Zeit kennt auch gute Beobachtung und Engagement und Tatkraft von vielen Händen. In dieser Geschichte gilt das Engagement dem Eisvogel.
Der Protagonist: der Eisvogel
Ein Eisvogel ist das Tier, was jedes Stadtkind zum Ornithologen gemacht hat. Seine irisierenden Rückenfedern leuchten in einem auffälligen Kobaltblau in der Wintersonne und der über proportioniert wirkende Schnabel gibt ihm fast etwas Ritterliches. Mit nur 16 bis 18 Zentimetern Körperlänge wirkt der schnelle Jagdflug des Eisvogels sportiv und präzise und doch sieht man ihn oft aufgeplustert auf einem Ast am Wasser sitzend. Dann wirkt er mit seinen kurzen Beinen und Schwanz fast linkisch und behäbig. Der Eisvogel ist im wasserreichen Berlin von Tegel bis zum Müggelsee verhältnismäßig oft zu beobachten. Hier allerdings ist er obdachlos.
Die Aktion
Ein Mitglied der neu gegründeten Bezirksgruppe Treptow-Köpenick sichtete schon vor Wochen einen Eisvogel, der sich am Schilf des Müggelsees aufhielt und naturgemäß kleine Fische jagte. Als Nahrungsquelle scheint der See also durchaus tauglich, jedoch ist er das auch für die Unterbringung von Nachwuchs? Eisvögel graben Tunnel in senkrechte Abschnitte einer Uferböschung oder Lehmwand, die in eine Bruthöhle münden. Dort sollen dann die sechs bis acht Eier Platz haben, die Ende März/Anfang April gelegt werden.
Das sind Standortansprüche, die das Ufer des Müggelsees nicht erfüllen kann – zumindest nicht, wenn man die potenziellen Brutstellen so belässt wie dieser Tage vorgefunden. Will man aber, dass der Eisvogel hier ein Zuhause findet und seine Chancen auf Nachwuchs vergrößern, gibt es Möglichkeiten, nachzuhelfen und sozusagen den Einzug in ein Fertighaus vorzuschlagen. Dieses Fertighaus ist eine aus Beton gegossene Niströhre, die kurzfristig vom zuständigen Forstamt besorgt worden ist, sodass Anfang Dezember 2020 die Aktion „Niströhre“ beginnen konnte.
Mit Lehm und Akkuschrauber
Am Morgen trafen sich also neun Helfer*innen der NABU-Ortsgruppe Treptow-Köpenick, um die „Immobilien“ für den Eisvogel am Müggelsee um ein neues Objekt zu erweitern. Die Kulisse dafür wurde schon früh ausgespäht und aufgrund eines „waldökologischen Zufalls“ für günstig befunden: Am Ufer war in einem vergangenen Sturm ein Baum umgestürzt, dessen Wurzelteller nun zum Wasser zeigte und so in seinem zweiten Leben die wichtigste Requisite in der Aktion Niströhre werden sollte. Da der Eisvogel sich seinen Tunnel zum eigentlichen Brutkessel in eine steile senkrechte Wand gräbt, war der Wurzelteller prädestiniert, die Wand zu simulieren, in die sich der Vogel im Frühjahr vergraben kann. Um das auch wirklich tun zu können, kleideten wir die Röhre vorher mit Lehm und Sand aus. Die so präparierte Röhre konnte so an einen quadratischen Kasten anschließen, in dem die Eier abgelegt werden. Auch diesen Kasten kleideten wir mit Lehm aus. Anschließend hobelten wir ein Loch, das mehr oder weniger genau in den Wurzelteller gehobelt, gesägt und gestochen wurde. Danach konnte der Kasten auf den Holzpfeiler aufgestelzt werden. Unverkennbar war, welchen hohen Wert die Arbeit im Team und die Expertise Einzelner in diesem Bauprojekt hatte. Während Werkzeugkundige die Stelzen für den Nistkasten zimmerten, konnten andere die sandige Erde für den Ausbau der Röhre vorbereiten, wieder andere sägten die Löcher in den Wurzelteller. Zum Schluss ging es mit Wattanzug und Gummistiefel ins Wasser, um den Raum zwischen ausgesägtem Loch und Höhleneingang mit Lehm zu stopfen und auszubessern. Von allen Seiten konnte so daran gearbeitet werden, einen attraktiven Nistplatz für den Eisvogel zu kreieren. Als letzte Aufgabe musste das gesamte Konstrukt noch mit reichlich Erde, Laub und Geäst zugedeckt werden – nicht nur als Schutz gegen Fress- und menschliche Guckfeinde, sondern auch zugunsten des vom Eisvogel präferierten Raumklimas, das in der Betonhöhle eben nur entsteht, wenn man sie unter einer guten Schicht Erde begräbt.
Ausblick
Nach drei Stunden des Buddelns, Sägens und Bohrens war der erste Aufschlag geschafft. Ein zweiter soll in Kürze folgen und wurde auch gleich mit vorbereitet. Nur ein paar Zentimeter von der ersten Höhle entfernt wird noch eine zweite Niströhre in den Wurzelteller eingelassen – das erhöht die Chancen, dass der Vogel den Eingang der Höhle auch findet. Immerhin hat er dazu noch bis zum Frühjahr, spätestens bis Anfang April, Zeit. Wenn er am Nikolaustag aufgepasst hat, kann man optimistisch sein, dass es im kommenden Jahr wieder kobaltblau über dem Müggelsee blitzt.
Der Vogel braucht uns nicht, auch nach dieser Aktion bleibt das so. Aber wenn wir etwas tun können, dass er sich bei uns wohlfühlt, dann ist das ein hoffnungsvolles Zeichen für unsere Beziehung mit diesen Wesen, das uns so fasziniert.
Text: Hanna Miethner