Finger weg von Jungvögeln!
Der erste Eindruck täuscht zumeist
Wenn das Telefon beim NABU Berlin und seiner Wildvogelstation nicht mehr still steht, ist den Mitarbeitern auch ohne Blick auf den Kalender klar, dass die Brut- und Aufzuchtzeit der Vögel wieder voll im Gange ist. Bei vielen Vogelarten beginnt bei den Jungen jetzt die Ästlingsphase, ein Zeitraum, in dem sie noch nicht voll flugfähig sind, sich aber bereits außerhalb ihres Nestes aufhalten. Vielen Berliner Bürgern ist diese Phase jedoch immer noch nicht bekannt: Aus Sorge um die vermeintlich hilfsbedürftigen Amseln, Meisen, Grünfinken oder Sperlingen, wenden sie sich besonders oft an den NABU Berlin. Der Ratschlag der Naturschützer lautet: Finger weg!
Lautes Tschilpen ist ein Bettelruf und kein Hilfeschrei
Jungvögel sind grundsätzlich dort zu lassen, wo sie gefunden wurden. Die Jungen werden auch außerhalb des Nestes von ihren Eltern beschützt und mit Futter versorgt. Greift der Mensch in diese sensible Phase ein und nimmt das Jungtier mit, bedeutet dies für den Vogel eine Katastrophe, da die Bindung zwischen Alt- und Jungvogel unterbrochen wird. Mit dem lauten und für unsere Ohren manchmal herzzerreißenden Tschilpen halten die Jungvögel mit ihren Eltern Kontakt.
Hilfe ist erst dann angeraten, wenn man beobachtet, dass sich die Jungvögel in der Nähe oder sogar auf der Fahrbahn einer Straße befinden oder anderen Gefahrenquellen ausgesetzt sind. In diesem Fall hilft der beherzte Transport in das nächste Gebüsch oder in einen niedrigen Baum in unmittelbarer Umgebung des Fundortes. Dadurch vergrößert sich die Chance, dass die Altvögel die Jungen auch wiederfinden und weiter versorgen können.
Wer Hauskatzen besitzt und trotzdem die Vogelkinder vor seinem Fenster oder in seinem Garten haben möchte, der sollte seinen Stubentiger für die nächste Zeit im Haus halten, da Jungvögel, die alles andere als Flugexperten sind, sonst leichte Beute werden.
Finger weg von Jungvögeln!
Besonders verärgert reagiert der NABU Berlin mittlerweile auf Zeitgenossen, die einfach erst einmal jedes Tier bzw. jeden Jungvogel einsammeln, der ihren Weg kreuzt, diesen bei sich zu Hause halten und – nachdem sie festgestellt haben, dass sie mit der Versorgung des Tieres überfordert sind – dann nach den Naturschutzexperten rufen. „Werden Jungvögel nicht mit dem artgerechten Futter versorgt, bleiben Gefiederschäden zurück, die den Jungvogel flugunfähig machen und sich erst bei korrekter Fütterung mit der nächsten Mauser auskurieren lassen“, erläutert André Hallau, Leiter der NABU-Wildvogelstation. Diese langwierige Behandlung unter fachkundiger menschlicher Betreuung ist zeit- und kostenintensiv. Doch häufig kann der Schaden nicht mehr gut gemacht werden: der Vogel stirbt. Darum appellieren die Naturschützer, nicht in den Rhythmus der Natur einzugreifen und erinnern daran, dass es auch verboten ist, Wildtiere einfach mit nach Hause zu nehmen.
Pressemitteilung vom 27. Mai 2016