Natur aus zweiter Hand
Das Vogelschutzreservat Flughafensee
Vegetationsfreie Landschaften mit Steilufern und Sandflächen sind in der Natur immer seltener zu finden. Umso größere Bedeutung erlangt „Natur aus zweiter Hand“, die am neuen „Flughafensee“ durch den Kies- und Sandabbau in den Jahren 1953 bis 1978 entstand: Es bildete sich ein Ensemble von Gewässern unterschiedlicher Größe und Tiefe, das zahlreichen Wasservögeln, Amphibien und Fischen ausgesprochen gute Entwicklungsmöglichkeiten bot. Auch die angrenzenden nährstoffarmen Sandflächen waren neue Lebensräume für Pflanzenarten der Trockenrasen und Heiden. Besenheide, Bergsandglöckchen oder Kleines Habichtskraut siedelten sich an und mit ihnen auch die adaptierten Insekten- und Spinnenarten.
Doch schon vier Jahre später war klar: Die ökologisch sensiblen Uferzonen brauchten dringend weiterhin Schutz, wenn der wertvolle Lebensraum für seine seltenen Arten erhalten werden sollte. Und so besetzten Naturschützer*innen aller Berliner Naturschutzverbände Pfingsten 1982 das Seeufer. „Damals gab es ja öfter Hausbesetzungen in West-Berlin“ erinnert sich Frank Sieste, heute Leiter der NABU-AG Flughafensee, „und wir haben eben die Natur besetzt, um sie zu schützen.“
Naturschutz und Erholungsnutzung
Mit Erfolg: Der Bezirk zäunte die besonders wertvollen Bereiche am Südufer des Sees ein und seit 1983 betreuen Aktive des NABU Berlin das dort entstandene „Vogelschutzreservat Flughafensee“.
Am Strand unmittelbar nebenan herrscht reger Badebetrieb, seit nunmehr 30 Jahren genießen Berliner*innen hier den Sommer. Der Flughafensee ist damit ein gutes Beispiel dafür, dass Naturschutz und Erholungsnutzung sich keineswegs ausschließen, sondern langfristig koexistieren können.
Unbeeindruckt vom benachbarten Strandleben brüten im Vogelschutzreservat seltene Vogelarten wie Zwergdommel, Flussregenpfeifer oder Drosselrohrsänger. Um die Artenvielfalt zu fördern, hält die AG Flughafensee den Trockenrasen offen – in den letzten Jahren unterstützt von einer Schafherde – und entfernt invasive Pflanzen wie die Spätblühende Traubenkirsche. Der Bestand an Brut- und Wasservögeln wird regelmäßig kartiert. Nicht zuletzt machen die NABU-Aktiven das Vogelschutzgebiet auf geführten Spaziergängen einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich und werben um Verständnis für die Stadtnatur.
Der Flughafen Tegel und die „Tegeler Stadtheide“
Auch der jetzige Flughafen Tegel hat eine lange Nutzungsgeschichte. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts wurden größeren Flächen in der damaligen Jungfernheide abgeholzt und als militärischer Schießplatz genutzt. Eine Abfolge verschiedenster Nutzungen folgte, bis 1948 dann der eigentliche Flughafen Tegel eingeweiht wurde.
Weil die grünen Flächen des Flughafens über Jahrzehnte nicht gedüngt und nur extensiv gepflegt wurden, beherbergen sie eine einmalige artenreiche Flora und Fauna. Grund für die extrem hohe ökologische Bedeutung ist u.a. die enge Verzahnung der unterschiedlichen Biotope wie Zwergstrauchheiden oder Trocken- und Magerrasen.
Die Bezeichnung „Tegeler Stadtheide“ ist bisher nur ein Arbeitsname und bezeichnet die wertvollen Flächen neben und auf Teilen des Rollfeldes und die Flächen des „Vogelschutzreservat Flughafensee“.
Der hohen naturschutzfachlichen Wertigkeit des Gebietes wurde im Landschafts- und Artenschutzprogramm (LaPro) der Stadt Berlin Rechnung getragen. 2016 wurde hierin der Begriff „Tegeler Stadtheide“ geprägt und die Ausweisung als Naturschutzgebiet vorgesehen.
Die „Tegeler Stadtheide“ wurde in den zahlreichen Workshops zur Nachnutzung von Tegel gegen Planungen zur Bebauung oder gewerbliche Nutzung erfolgreich verteidigt. Doch nun soll der Flughafen im November 2020 seinen Betrieb einstellen und noch immer ist das Unterschutzstellungsverfahren nicht eingeleitet.