Upcycling
Die Reinkarnation des Mülls
Berlin ist ein wahres Mekka für Upcycling-Konzepte unterschiedlichster Art. Projekte mit sozialem Anspruch und aufstrebende Start-Ups vereinen den Gedanken, Weggeworfenes kreativ umzugestalten und daraus nachhaltig etwas Neues zu schaffen. „Reduce, reuse, recycle“ ist das Motto des „Kaufhauses der Zukunft“, so wie es die Berliner Senatsverwaltung entworfen hat. Von September 2020 bis Ende Februar 2021 beherbergt temporär das Karstadt am Hermannplatz einen neuen Reuse-Store in der dritten Etage. Hier sind neben gebrauchten Waren auch reparierte Elektronikgeräte oder Upcycling-Teile zu haben. Das Kaufhaus bietet zudem Reparatur- und Upcycling-Workshops an. Im Veränderungsatelier und Verein „Bis es mir vom Leibe fällt“ kann der Kunde verändern lassen oder verändern lernen. Designer*innen schneidern nach Wunsch das alte Stück um oder bieten Workshops zum selbst Schneidern an. Das Label „Western Trash“ erkennt das Potential von Glasflaschen und fertigt daraus hochwertige Lampen. „Upcycling-Deluxe“ betreibt einem Laden in Prenzlauer Berg und einen Online-Shop mit fair gehandelten Waren. Die Liste kleiner nachhaltiger Labels ließe sich beliebig verlängern. Doch mittlerweile ist Upcycling auch bei den großen Designern angekommen und tauglich für die Pariser Laufstege.
Was heißt Upcycling genau und wodurch unterscheidet es sich vom normalen Recycling?
Recycling führt Wertstoffe unter Aufwand von Energie und Rohstoffen in den Produktionsprozess zurück. Dabei wird z. B. Altpapier geschreddert, chemisch gereinigt und gebleicht, um danach gesiebt, gepresst und zugeschnitten zu werden. Papier und Plastik verliert stufenweise an Qualität, bis die Rohstoffe nicht mehr verwendbar sind. Aufgrund dieses Qualitätsverlustes ist Recycling auch gleichzeitig Downcycling. Anders als beim Upcycling. Mit Upcycling erlebt das Ausgangsmaterial eine Aufwertung, indem aus Müll möglichst unter Verwendung von wenig Energie ein völlig neuer Gebrauchsgegenstand wird. Dabei sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Mit ein wenig basteln und Fantasie entstehen zu Hause wundervolle neue Objekte. Ein Fahrradschlauch avanciert zum Stifte Mäppchen, eine alte Jeans wird zum Einkaufsbeutel. Es müssen nicht immer gekaufte Produkte sein, mit einer guten Idee lassen kann man selbst schöne Geschenke herstellen.
Sind denn alle Upcycling-Produkte wirklich nachhaltig?
Nicht jede Upcycling-Idee ist automatisch umweltfreundlich. Es kommt auf den Einzelfall an. Beim Beispiel Plastikflasche stellt sich die Frage: Handelt es sich um eine Pfandflasche oder landet die Flasche im gelben Sack? Aus Pfandflaschen werden Verpackungen für Lebensmittel und es ist umweltfreundlicher, diese in den Recyclingprozess zurückzuführen. Anders verhält es sich mit den Einwegflaschen. Diese werden zu minderwertigen Plastikprodukten und sie erleben eine stoffliche Abwertung. Daraus ließe sich gut etwas Neues kreieren. Einige Hersteller verarbeiten z. B. nicht mehr recyclebares PET zu Kleidungsfasern. Von der Plastikflasche zum Fleece Pullover. Wird allerdings das Plastik nach Asien transportiert, dort verarbeitet und dann wieder nach Europa zurück verfrachtet, hat das nicht den gewünschten Effekt auf die Gesamtökobilanz, so Professor Sebastian Feucht von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin in einem Interview mit Utopia.
Bei den großen Marken ist der Trend angekommen. Adidas wirbt damit, Müll aus Meeren zu fischen und stellt daraus Turnschuhe und Trikots her. H&M kauft gebrauchte Kleidung auf und verarbeitet diese zu neuer Kleidung weiter. Das ist an sich eine gute Entwicklung, doch bleibt der große Rest des Sortiments der Hersteller vom Nachhaltigkeitsgedanken unberührt. Es wird also nicht weniger Kleidung auf konventionelle Weise hergestellt, sondern nur einige wenige Upcycling-Produkte in die Palette aufgenommen. Das erinnert an eine PR-Strategie, die auf Greenwashing abzielt.
Auch der Konsument kann sich bei jedem Kauf fragen: Brauche ich dieses Produkt wirklich oder greife ich zu, weil ich denke ich tue damit etwas Gutes? Wie sieht mein Einkaufsverhalten generell aus? Kaufe ich mit dem einen Upcycling-Produkt mein Gewissen frei, trinke aber im nächsten Atemzug mein Coffee-To-Go aus dem Pappbecher? Mit jedem gekauften Produkt wird der Konsum von Waren angeregt. Upcycling ist dennoch ein guter Ersatz für entsprechende Neuware, wenn es sich um einen bewussten Kauf handelt.
Produkte länger verwenden und reparieren
Gerade Kleidung ist das Upcycling-Beispiel mit viel Potential. Laut Greenpeace kauft jeder Deutsche im Schnitt 60 Kleidungsstücke pro Jahr, diese haben nur eine kurze Tragedauer. Die Mode ist geprägt von Fast-Fashion. Große Modehersteller präsentieren bis zu 24 Kollektionen pro Jahr. Die Kleiderschränke hängen voll. Hier kann jeder eingreifen und nicht mehr getragene Kleidung in den Second-Hand geben oder auf der nächsten Kleiderparty eintauschen. Neu kombiniert lassen sich alte Stücke länger tragen. Bleibt Kleidung länger im Kreislauf, werden Ressourcen eingespart und weniger Neuware produziert. Anstatt im Müll zu landen, kann Kleidung diesen Weg gehen: Stücke tragen - dann Second-Hand, reparieren oder upcyclen.
Nicht nur bei Kleidung ist es nachhaltiger, wenn Produkte länger gebraucht werden. Das gilt auch für alle anderen Gebrauchsgegenstände wie elektronische Geräte. Gehen die Geräte kaputt, ist es besser sie zu reparieren als wegzuschmeißen. Eine gute Anlaufstelle dafür sind Repaircafes. Hier helfen Ehrenamtliche Kaputtes wieder auf Vordermann zu bringen. In jedem Stadtteil sind Repair Cafes ansässig. Im „Upcycling Future Lab Berlin Pankow“ laufen Klimaschutzthemen und interkultureller Austausch zusammen. In Kombination mit moderner Technik wie dem 3D-Druck wird hier das Reparieren vom alten Wasserkocher zum kreativen Schaffungsprozess.
Dorothee Lange, Stand: 22.01.2021