Strategien im Winter
Should I stay or should I go?
Möglichkeit 1: Davon machen!
Über Vögel ist es bekannt, einige Insektenarten beherrschen es auch: im Herbst in warme Gefilde abwandern. Die bekanntesten Beispiele für wandernde Insekten sind wohl die Wanderfalter wie Admiral, Taubenschwänzchen und Distelfalter.
Letzterer wandert im zeitigen Frühjahr von Nordafrika aus in den Süden Europas ein, wo er sich fortpflanzt, da für die Raupen in dieser Jahreszeit das Angebot an Futterpflanzen oftmals sehr gut ist. Die Falter der neuen Generation wandern dann weiter nach Norden. Bei uns Ende Mai oder Anfang Juni angekommen, pflanzen sich die Distelfalter bald wieder fort, da dann bei uns die Bedingungen günstiger sind als im Süden Europas. Die später im Hochsommer zu beobachtenden Falter der dritten Generation wandern im August und September zurück nach Südeuropa und Nordafrika. Vielfach wird im Zielgebiet eine vierte Generation gebildet.
Einzelne Falter sollen auch bis in die Sahelzone ziehen und dabei bis zu 4.000 Kilometer zurücklegen!
Möglichkeit 2: Gemütlich machen!
Die Überwinterungsstrategie für die meisten Insekten ist, sich einen geschützten Platz zu suchen und bis zum Frühjahr auszuharren. Manche Arten überwintern im Ei- oder im Puppenstadium, andere als Larve oder als erwachsenes Insekt. Das ist für jede Art individuell. So kann die bekannte Feuerwanze nur als erwachsenes Tier überwintern. Feuerwanzenlarven, die bis zum Herbst ihre Entwicklung nicht abschließen können, überleben den Winter nicht.
Viele Arten bilden in der Körperflüssigkeit verschiedene Stoffe, zum Beispiel Glycerin, die verhindern, dass der Körper bei leichtem Frost einfriert. Finden die Tiere aber keinen passenden Platz, beginnen sie die Überwinterung notgedrungen auch an ungeeigneten Orten und überleben den Winter aber dann oftmals nicht.
Hierin liegt auch ein Grund für die Insektenarmut in vielen Grünanlagen und Gärten: Leergeharkte Gärten, Parkanlagen und Rasenflächen sind auch im Frühjahr insektenarm. Denn durch das systematische Entfernen von abgestorbenen Vorjahrespflanzen und dem anfallenden Laub finden viele Arten keine geeigneten Plätze und es fehlt der Schutz für die Überwinterung in den obersten Bodenschichten.
Auch morsches Holz dient vielen Arten zur Überwinterung, zum Beispiel vielen Hummelarten. Das Tagpfauenauge und andere Schmetterlingsarten nutzen auch gerne den Schutz von Stämmen und Wänden, die mit Efeu bewachsen sind.
Möglichkeit 3: Durchmachen!
Einige Insektenarten haben ihre Aktivitätszeit in den Winter ausgedehnt – solange die Temperaturen wenigstens leicht im Plusbereich liegen. Bei einigen Arten sind die erwachsenen Tiere sogar nur im Winter aktiv und pflanzen sich in dieser Jahreszeit fort. Während des übrigen Jahres findet dann die Entwicklung statt, die neue Generation erscheint dann im Spätherbst oder Frühwinter.
So verfahren eine Reihe von Käferarten, aber auch Artengruppen, die ihre besondere Aktivitätszeit schon im Namen tragen, zum Beispiel Frostspanner, Wintermücken oder Schneeflöhe. Auch diese Arten haben Frostschutz in ihrer Körperflüssigkeit, hier sogar in so hohen Konzentrationen, das sie den wechselwarmen Tieren eine Bewegung auch bei niedrigen Temperaturen zu ermöglicht.
Der 3-4,5 Millimeter große Winterhaft (Boreus hyemalis), (o.) ist die einzige Art, der auch als "Schneeflöhe" bezeichneten Insekten in Berlin. Sie sind keine echten Flöhe, sondern flügellose Vertreter der artenarmen Insektenordnung der Schnabelfliegen, zu denen auch die besser bekannten Skorpionsfliegen (Panorpa) gehören. Die Männchen tragen die Weibchen während der Paarung umher, die Larven leben ab September im Boden von Pflanzenresten. Die kältetoleranten Schneeflöhe machen lieber eine Sommer- statt eine Winterruhe. Im Januar oder Februar kommen sie phasenweise, getrieben von Hunger, aus dem Erdboden, um sich als "Superorganismus" zusammenzuschließen. Die stecknadelkopfgroßen Schneeflöhe gehören zur Gruppe der Springschwänze. Sie haben eine winzige Sprunggabel, mit der sie sich hüpfend über den Schnee fortbewegen können. Auch sie haben ein Frostschutzmittel und können ausgedehnte Wanderungen vornehmen.
Mückentanz im Dezember
Die Familie der Wintermücken (Trichoceridae) ist durch fossile Funde seit dem Trias belegt. Sie ist frostresistent und kann bei schon knapp über 0 Grad Celsius aktiv werden. Die Männchen der Tiere bilden besonders an sonnigen Wintertagen und im zeitigen Frühling Tanzschwärme.
Milde Winter & heiße Sommer – was bedeutet das für Insekten?
Seit ungefähr drei Jahrzehnten beobachten Insektenforscher eine Zunahme von wärmeliebenden Arten, die oftmals aus dem Mittelmeerraum zu uns kommen. Anders als oft angenommen wird, können diese sich nicht etwa wegen milderer Winter besser bei uns halten. Vielmehr sind es wärmere und längere Sommer, die ihnen überhaupt erst eine Entwicklung ermöglichen.
Im Umgang mit tiefen Temperaturen sind sie dagegen oftmals nicht empfindlicher als typische mitteleuropäische Arten. Für viele Arten bedeuten längere Wärmeperioden auch, dass sie eine Generation mehr im Jahr hervorbringen können. Es gibt andererseits auch an kalte Standorte angepasste Arten, die unter Wärme leiden und im Bestand zurückgehen. Auch große Trockenheit, wie sie in den Sommern 2018 und 2019 auftrat, stellt viele Arten vor Herausforderungen. Durch vertrocknete Futterpflanzen oder das Ausbleiben von Pilzen, fehlt es oftmals an Nahrung.
Was kann ich für Insekten im Winter tun?
Wie auch im Rest des Jahres kann jeder Gartenbesitzer durch abwechslungsreiche und strukturreiche Gestaltung die Grundvoraussetzung für eine artenreiche Insektenfauna auch im Winter legen. Hier gilt: wachsen, stehen und liegen lassen – auch das, was optisch vielleicht stören mag.
Bei der Auswahl von Pflanzen sollte man regionale Arten verwenden und die abgestorbenen Stängel bis in das Frühjahr hinein so lang wie möglich stehen lassen. Anschließend lassen sich daraus Nisthilfen für Solitärbienen und -wespen bauen.
Text: Jens Esser. Der Artikel ist in der Natur in Berlin, Ausgabe 4/2019 erschienen.