Reha für Wildvögel
Ein Tag in der NABU-Wildvogelstation
Berlin, Marzahn-Hellersdorf, 08:30 Uhr. Ein junger Mauersegler hängt schwach in Rebekkas Hand. Der glatte, dunkel gefiederte Vogel schließt die meiste Zeit seine großen Augen, schüttelt nur wild den Kopf, beim Versuch, ihm Wassertropfen anzubieten. Er wurde wie viele andere seiner noch flugunfähigen Artgenossen auf dem Boden liegend aufgelesen. “Wenn das Brustbein so heraus steht, ist er stark unterernährt”, erklärt Rebekka. Dieser Segler wird heute eine Sonderbehandlung bekommen und jede halbe Stunde gefüttert werden.
Eine ungewöhnliche Arbeit
Versteckt liegt die Wildvogelstation vom NABU Berlin von Bäumen und Wiesen umgeben im Wuhletal. Nur einige Radler bevölkern es auf ihrem Weg zur Arbeit. Kommt man aus der Sonne, ist der kleine Container dunkel: zwei Räume, ein Flur dazwischen.
9:00 Uhr. Rebekka und Marc beantworten Bürgeranfragen an Telefon und PC, die zwei anderen Mitarbeiter bereiten Futter vor. Ein Ehrenamtlicher macht hier Bundesfreiwilligendienst. Das ist bereits alles an Personal.
Von Mai bis August ist Hochsaison
Rebekka ist Tierpflegerin und seit rund einem Jahr in der Station. Ihr letzter Urlaub liegt 8 Monate zurück. Routiniert arbeitet sie zunächst die Notfälle vom Anrufbeantworter ab. Einige Mitteilungen sind doppelt, denn die Bürger*innen wollten sofort jemanden sprechen. Unmöglich, mit all den Fütterungen und Außeneinsätzen. Der AB wird abgehört, wenn die Vögel versorgt sind. Heutige Fälle: Ein Mäusebussard mit hängendem Flügel, 3 verwaiste Entenküken, 2 Mauersegler am Boden und ein winziges Schwalbenküken, das nicht frisst... Marc, weitgereister Vogelexperte im Masterstudium, hat die elektronischen Anfragen beantwortet: Krähen, die lediglich hopsen, Enten im Gartenteich, ein verwaister junger Eichelhäher und so weiter. Überall ist Ferienzeit, doch hier ist Urlaubssperre, denn in den Sommermonaten müssen viele Jungvögel gepflegt werden.
Kurz vor 10:00 Uhr. Im Container ist es brütend heiß. Zeit für die Tagesplanung. Die vier Vogelpfleger setzen sich nach draußen. Jeder hat eine Tasse Kaffee vor sich, typischerweise schwarz, denn zum Milch holen fehlt doch die Zeit. Sie besprechen, wo die Neuankömmlinge unterkommen sollen. Plätze werden frei, da einige Vögel aus dem Käfig in die Voliere können und zwei Auswilderungen anstehen.
Die Kleintierklinik der FU hat wieder neue Pfleglinge, die medizinisch versorgt sind, aber noch nicht freigelassen werden können, weil sie noch durchmausern oder zu Kräften kommen müssen. Marc wird sie mit dem Auto abholen. Außerdem finden heute zwei Übergaben mit Vogelfindern statt, die ihre Zöglinge nicht mehr versorgen können – der Urlaub kommt. Und die Routinearbeiten werden einen Großteil der Zeit einnehmen: Futter vorbereiten und austeilen, Käfige säubern, Vögel kontrollieren. Als alle Aufgaben verteilt sind ist klar, es wird wieder ein langer Tag.
Ganz nah dran: Vogelpflege von Aaskrähe bis Zilpzalp
10:30 Uhr. Tierpflegerin Sabrina steht in der Küche und beginnt, verschiedenes Singvogel-Futter anzumischen und Brei für die Tauben zu kochen. Jeder Wildvogel hat seinen eigenen Speiseplan. Falsches Futter kann zu Fehlbildungen der Federn, zu Flugunfähigkeit und gar zum Tod führen. Von Samen über Obst bis hin zu Heimchen – das Futterdepot der Station ist reich bestückt.
11:00 Uhr. Beim Füttern ist man allen 25 Pfleglingen in den Käfigen nahe: eine Misteldrossel inspiziert Hereinkommende gleich an der Tür und duckt sich vorsichtshalber, flinke Haubenmeisen hüpfen hektisch umher und aus allen Ecken des kleinen Raums tschilpt es. Statischer sind die Taubenjungen, das fehlende Gefieder am riesigen Schnabel lässt diesen wie eine Hakennase wirken hinter der sie schüchtern hervorschauen. Der kleine Neuntöter, der in der Station handaufgezogen wurde, piepst bettelnd die Pfleger an. Die Handaufzucht von Wildvögeln ist extrem aufwändig und wird eigentlich nur bei Ringeltauben und Mauerseglern geleistet. Doch dieser Glückspilz kann nun allein fressen und das muss er auch.
Bei den Raubvögeln
12:10 Uhr. Malte bereitet das Futter für die Greifvögel, die Krähen und die einzelne Silbermöwe vor. Er ist gelernter Zootierpfleger und kommissarischer Leiter der Station. Mit Futtertablett und Gießkannen bahnt er sich seinen Weg durch die Hitze zu den Volieren. Malte ist ein wandelndes Vogellexikon – das Wissen sprudelt nur so aus ihm heraus. Er ist seit 2016 in der Station und Vögel sind seine Leidenschaft. Ohne die kann man eine Station wie diese mit all den täglichen Herausforderungen, den Wochenendarbeitszeiten und den unzähligen Überstunden nicht leiten. Er kennt die Bedürfnisse seiner Schützlinge und er weiß, welcher versuchen wird, ihm direkt an der Futterluke noch ein Stück Fleisch mehr abzuluchsen.
13:15 Uhr. In der ersten Greifvogelvoliere sitzt ein Habichtweibchen - ein gewaltiges Tier. Schön und mit scharfem Schnabel sitzt sie auf einem Ast und schaut misstrauisch zur Tür. So nah sieht ein Spaziergänger die Art wohl kaum einmal. Der Habicht bekommt 8 Küken, “Abfall” aus der Huhn- und Eiproduktion. Dann wird er in Ruhe gelassen, nur keinen unnötigen Stress verursachen. Nebenan wohnen Sperber. Auch ein Bussard, ein Rotmilan und ein kleineres Habichtmännchen verhalten sich ganz ruhig beim Füttern. Nur die 3 Turmfalken fliegen beim Füttern lebhaft umher und rufen ihr lautes ti, ti, tii.
Die Krähe im Kescher
14:00 Uhr. Drinnen will Sabrina die vier Sperlinge wiegen. Doch das Einfangen mit der Hand ist schwieriger als erwartet. Sie flattern wild herum. Also bekommen sie Ruhepausen, damit der schnelle Kreislauf in der Hitze nicht kollabiert. Nur Sabrina bekommt keine Pause. Die Waage zeigt pro Spatz knapp 30 Gramm an, ein stattliches Gewicht für die Fliegengewichte! Sie können in die Außenvoliere umziehen zu den Meisen und Finken, dort werden sie beim Fliegen auch wieder abnehmen.
Sabrina geht schnell zurück, jetzt muss sie drei Krähen einfangen und mit einigen älteren zusammenlegen. Sie sind inzwischen stark genug, sich durchzusetzen. Soziale Vögel haben viel miteinander zu tun, ähnlich wie Menschen kümmern und zanken sie sich ständig um- und miteinander. An der Krähenvoliere angelangt, holt Sabrina einen riesigen Kescher heraus. Sie fängt die Krähen fast mühelos – kein Vergleich zu den Spatzen. Die gefangenen Krähen fischt sie einfach mit der Hand aus dem Kescher und legt sie in je einen Stoffbeutel. Die trägt sie hinüber zum neuen Zuhause und öffnet sie am Boden. Die klugen Vögel rauschen aus dem Sack. Dann wirken sie erstaunlich ruhig ob ihres Umzugs. Sie wissen, dass sie nur ein paar Meter weiter untergekommen sind und vermutlich auch, dass sie es hier ziemlich gut haben.
Mauersegler-“Patienten“
14:50 Uhr. Die vielen Mauersegler werden nun gewogen und erneut handgefüttert, mit Bienendrohnen. Da sie nicht wie andere Jungvögel „sperren“, müssen die Pfleger äußerst vorsichtig den Schnabel öffnen: ganz leicht kann er verletzt oder gar gebrochen werden. Etwa alle zwei Stunden bis zum Sonnenuntergang werden sie versorgt. Immer wieder werden auf Berlins Straßen am Boden liegende Mauersegler gefunden, verletzte erwachsene Vögel, die nicht mehr abfliegen können, oder Jungsegler, die zu früh und somit flugunfähig aus ihren Nestern geflohen sind. Während ihres Aufenthaltes in der Station werden alle Mauersegler regelmäßig gewogen und vermessen um ihre Entwicklung zu kontrollieren. Flugfähig sind sie erst mit einer bestimmten Kondition und Flügellänge. Zwei der Vögel sind soweit.
Zurück in die Lüfte – Die Auswilderung
16:00 Uhr. Alle, die gerade eine Hand frei haben, kommen mit zur Freilassung zweier Mauersegler. Es ist spannend und beglückend, die Vögel in die Freiheit starten zu sehen. Im freien Gelände ist es sengend heiß. Die bunte Wildblumenwiese neben der Station ist vom Grünflächenamt zum Großteil abgemäht worden. Rebekka hält den ersten Mauersegler auf der flachen Hand Richtung Horizont und wartet. Lange Minuten tut sich wenig, einmal streckt der Vogel die Flügel, doch liegt dann nur weiter da. Der Arm wird schwer, Rebekka beginnt ihn leicht auf und ab zu bewegen, damit der Luftzug den Vogel zum Fliegen animiert. Endlich breitet der Segler die Flügel aus und startet - um direkt danach abzusacken und beinah eine Bruchlandung auf der Wiese hinzulegen. Doch er fängt sich kurz über dem abgemähten Boden und kriegt die Kurve Richtung Himmel. Er schwebt und flattert auf den Horizont zu. Allgemeines Aufatmen!
Der zweite Segler fliegt jedoch nicht. Er dreht auf der Hand von Sabrina den Kopf immer wieder zu den Menschen herum als würde er fragen: „Soll ich? Wirklich?“. Er kommt wieder mit hinein, ihm fehlten eben noch 1 - 2 mm Länge an den Schwingen. „Morgen“, sagt Malte, „morgen schafft er es auch“.
Noch ist nicht Feierabend. Und wenn der beginnt, erwartet jeden reihum die Pflege der Mauersegler, das wird dann ehrenamtlich sein.
Unterstützung willkommen!
Natürlich freuen sich die Stationsmitarbeiter*innen über ehrenamtliche Unterstützung. Wer z. B. Vorerfahrung mit der Handaufzucht von Mauerseglern hat, kann sich mit deren Aufnahme besonders nützlich machen. Futterspenden sind nach Absprache auch gern gesehen, aber vor allem Geldspenden werden dringend benötigt. Besonders willkommen sind Vogelpaten, die ihrem Schützling die sichere Genesung ermöglichen.
Text: Sophie Brüning