Baumscheiben
Missachtete Minioasen mit Naturschutzpotential
Hundeklo, Fahrradparkplatz oder Späti-Außenbereich – Baumscheiben erfüllen in Berlin viele Funktionen, ihr ökologischer Wert für unser Stadtklima spielt leider meist nur eine untergeordnete Rolle. Dabei verschönern bepflanzte Baumscheiben Straßenzüge, betreiben unbewusst Umweltbildung und leisten einen Beitrag zum Naturschutz für Wildbiene, Feuerwanze und Mensch.
Des Baums vermüllte Scheibe - Begriffserklärung
Als Baumscheibe wird der Bereich bezeichnet, der um den Stammfuß des Straßenbaums herum frei bleibt und durch Pflastersteine oder andere Einfassungen begrenzt ist. Mitunter kaum eine Handbreit, ist er rund oder eckig, mit Fahrradbügeln umsäumt oder durch ein Zäunchen geschützt. Ein stark verdichteter Boden und ein trauriger Anblick ist den meisten Baumscheiben gemein. Sie sind meist viel zu knapp bemessenen, frei begehbar mit wenig offener Bodenfläche. Dabei erfüllen unsere Stadtbäume samt Scheibe wichtige Funktionen für ein lebenswertes Wohnen in der Stadt.
Dem Baum auf die Füße geschaut - Berliner Bäume im Stress
Die Gesundheit unserer Bäume wirkt sich unmittelbar auf unser Stadtklima aus. Bäume und Sträucher filtern Feinstaub und verbessern durch Verdunstung und Sauerstoffproduktion unsere belastete Großstadtluft. Sie spenden Schatten und wirken der Aufheizung des Straßenraums entgegen. Für Insekten, Vögel und Kleinsäuger sind sie Refugien und Nahrungsspender. Ohne Bäume wären unsere Straßen traurige Betontrassen.
Wir lieben unsere Bäume und mussten in den letzten heißen, trockenen Sommern dabei zusehen, wie sie nach und nach vor die Hunde gehen. Die Hinterlassenschaften eben jener gaben den geschwächten Linden, Ahornen und Pappeln den Rest. Zusammen mit den Belastungen durch Streusalz, Schadstoffen in Luft und Boden und übermäßigem Kronenschnitt erreichen unsere Straßenbäume meist nur rund ein Drittel des Alters ihrer freistehenden Verwandten.
Bodenverdichtung
Auf ungeschützten, begehbaren Baumscheiben verdichtet sich der Boden: die Belüftung verschlechtert sich, er wird undurchlässiger und lässt nur noch wenig Niederschlagwasser in den Wurzelbereich sickern. Die Nährstoffzufuhr ist für den Baum somit erheblich beeinträchtigt. Bei stark versiegelten oder zu klein angelegten Baumscheiben läuft wertvolles Regenwasser zuweilen komplett ungenutzt ab. Da kann auch engagiertes Gießen nicht mehr seine Wirkung entfalten.
Der Baum reagiert darauf mit reduziertem Wurzelwachstum und kann sich nicht mehr ausreichend Wasser- und Nährstoffressourcen erschließen. Er verliert an Vitalität und wird anfälliger für Krankheiten und Parasiten.
Das komplexe System der Boden-Mikroflora und -fauna besteht aus Bakterien, Flechten, Pilzen, Algen und Amöben. Die Organismen steuern und beeinflussen die Stoff- und Energiekreisläufe des Bodens und somit seine Fertilität. Sie wandeln pflanzliche und tierische Rückstände in Nährstoffe um. Vor allem die Wurzelsymbionten (Mykorrhiza) verbessern die Nährstoff- und Wasserversorgung. Diese im Boden lebenden spezialisierten Pilze umspinnen die Kapillarwurzeln und liefern wichtige Mineralstoffe.
Hundeurin
114.968 Hunde leben in Berlin – Tendenz steigend. Gleichzeitig schrumpfen die potentiellen Auslaufgebiete und Grünflächen. Vor allem in der Innenstadt bleiben oft nur noch die Straßenbäume fürs tägliche Geschäft. Doch Hundeurin verursacht Ätzschäden an der empfindlichen Rinde, die sich schließlich ablöst und Krankheitserreger und schmarotzende Pilze in den Stamm eindringen lässt. Fäulnis entsteht und Mykorrhiza werden geschädigt. Die extreme Konzentration von Nährstoffen führt zur Störung des Nährstoffgleichgewichts, zur Stickstoffüberdüngung und schließlich zu Vergiftungen. Die Schäden durch Hundeurin sind irreversibel und gefährden die Standfestigkeit der Bäume.
Trockenheit
Heiße, trockene Sommer, aber vor allem auch lange Trockenphasen im Frühjahr, wenn die Blätter treiben, schwächen unsere Straßenbäume. Ist die Wasserzufur knapp, reagieren einige Baumarten mit Laubabwurf oder mit dem Einrollen der Blätter. Der Baum reduziert so die Photosynthe-Leistung und fährt den Wasserverbrauch runter. Weniger Photosynthese verringert außerdem den Zuwachs (z.B. an Wurzeln) und die natürlichen Abwehrkräfte.
Die Welt auf einer Scheibe – Lebensraum schaffen durch Gießen, Pflegen und Bepflanzen
Unsere Bäume brauchen ausreichend Wasser und unverdichteten Wurzelraum. Neben regelmäßiger Bewässerung kann die Bepflanzung eine große Chance für jene Gehölze werden, die noch keiner Nachverdichtung, Pflegemaßnahme oder dem Hitzetod zum Opfer gefallen sind.
Mit Frühjahrs, Sommer- und Herbstblumen oder flachwurzelnden Stauden können sich verschiedene Insektenarten wie Schwebfliegen, Marienkäfer, Raubwanzen und Co. ansiedeln – ein erster Beitrag zum biologischen Pflanzenschutz. Durch die Beschattung und den Windschutz wird außerdem die Bodenaustrocknung vermindert und die obere Bodenschicht durch die Bewurzelung der Pflanzen gut durchlüftet. Das kommt vor allem den im Boden lebenden Mikroorganismen zu gute.
Eine Baumscheibe zu bepflanzen ist jedoch noch nicht der Weisheit letzter Schluss. Ist die Erde einmal aufgelockert, der Boden ausgetauscht oder mit guter Erde angereichert, die Samen oder Pflanzen gesetzt, muss natürlich auch hin und wieder gewässert, nachgepflegt und nach dem Rechten geschaut werden. Für Anwohner*innen, Familien oder Ladenbesitzer*innen kann das ein Herzensprojekt werden. Die Arbeit wird sich schnell auszahlen und mit sprießenden Blumen, summenden Insekten und sattem Grün vor der Haustür danken. Wer noch mehr tun möchte, kann ein Insektenhotel aufstellen und eine kleine Abgrenzung schaffen. Die kann verhindern, dass Baumaterial, ausgediente Matratzen u.a. abgeladen, Fahrräder am Stamm angelehnt werden, über die Baumscheibe gelaufen oder von Hunden verunreinigt wird. Alle Hunde wird ein Zäunchen oder Flatterband wohl kaum fernhalten. Meist wirkt da ein freundliches Wort mit den Halter*innen Wunder.
Welche einheimischen Pflanzen eignen sich?
Frühjahrsblüher: Hohler Lerchensporn, Bärlauch, Krokusse, Schneeglöckchen, Märzenbecher
Sommerblumen, Kräuter und Stauden: Wiesen-Salbei, Johanniskraut, Storchschnabel, Klatschmohn, Königskerze, Schafgarbe, Margerite, Frühlingsschlüsselblume, Ringelblume und viele mehr. Probieren Sie es einfach aus!
Baumscheibenbepflanzung
Was ist sinnvoll und überhaupt erlaubt? - Maßnahmen im Überblick
- Reinigen und befreien von Müll und Hundekot => Verminderung des Schadstoffeintrags
- Boden auflockern => bessere Bodendurchlüftung und Nährstoff- und Wasseraufnahme.
- Bepflanzung => Humusbildung, Artenvielfalt, Verminderung von Austrocknung
- Gießen => Verbesserung von Photosyntheseleistung, Wachstum, Vitalität
- Umzäunung => Schutz vor Rindenverletzungen und Hundeurin
Dos
- Vor einer Bepflanzung das zuständige Naturschutz- und Grünflächenamt informieren
- Scheiben um junge Bäume (Holzstütze) lieber nicht bepflanzen. Die Pflanzen könnten den wachsenden Wurzeln zur Konkurenz werden.
- Erlaubt sind Aussaat oder Pflanzung von Frühjahrs-, Sommer- und Herbstblumen sowie flach wurzelnder Stauden bis zu 70 cm Höhe.
- Etwas Platz um den Stammfuß herum lassen.
- Evtl. ist es sinnvoll den Boden austauschen, aber bitte kein Pflanzsubstrat!
- Bodenbearbeitung bis max. 10 cm Tiefe – Baumwurzeln dürfen dabei nicht verletzt werden
- Mit der Pflanzung ist es nicht getan. Die bepflanzte Baumscheibe braucht regelmäßige Pflege.
Don'ts
- Die Gehwegeinfassungen der Scheiben dürfen nicht verändert werden.
- Eine DiY-Einfassung darf nicht zur Stolperfalle werden – im vielen Bezirken sind sie aus Verkehrssicherheitsgründen ganz verboten.
- Nicht erlaubt sind Aussaat oder Pflanzung von Gehölzen, dornigen (z.B. Rosen), giftigen und kletternden Pflanzen
- Bodenauftrag, Aufschüttungen
- Verletzungen der Wurzeln, des Stammfußes und der Rinde