Rechtlicher Hintergrund
Vorschriften aus dem Bundesnaturschutzgesetz
Der rechtliche Schutzstatus aller Tier- und Pflanzenarten ergibt sich aus § 7 Abs. 2 Nr. 13 und 14 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG). In Nr. 13 werden die besonders geschützten Arten definiert, für die Schutzbestimmungen gelten. Ein Teil dieser Arten ist zusätzlich streng geschützt (Nr. 14). Für diese gelten zusätzliche Schutzbestimmungen.
Im Einzelnen verweist das Bundesnaturschutzgesetz für die Festlegung des Schutzstatus auf die Anhänge der EG-Artenschutzverordnung, der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU (FFH-RL), auf die Vogelschutzrichtlinie der EU (VoSchRL) und auf die Anlage 1 der Bundesartenschutzverordnung (BArtSchV).
Schutzstatus der gebäudebewohnenden Tierarten
Unter den an Gebäuden vorkommenden Tierarten gehören zu den besonders geschützten Arten alle Fledermausarten, alle europäischen Vogelarten (Ausnahme: verwilderte Haustauben, sogenannte „Stadttauben“), Hornissen und Solitärbienen.
Zusätzlich sind alle Fledermäuse sowie einige Vogelarten wie beispielsweise Greifvögel und Eulen streng geschützt.
Das BNatSchG führt in § 44 Abs. 1 folgende „Zugriffsverbote“ (auch: „Verbotstatbestände“) für besonders und streng geschützte Arten auf:
„Es ist verboten,
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wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen, zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, (sogenanntes „Fang-, Verletzungs- und Tötungsverbot“)
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wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten, während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören; eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert, (sogenanntes „Störungsverbot“)
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Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören (sogenannter „Schutz der Lebensstätten“ oder „Beschädigungs- und Zerstörungsverbot“)
Die genannten Lebensstätten der gebäudebewohnenden Arten verlieren ihren Schutz nicht, wenn sie kurzzeitig oder vorübergehend nicht besetzt erscheinen. Auch wenn sich die jeweiligen Individuen beispielsweise auf Nahrungssuche oder im südlichen Winterquartier befinden, gilt der Schutz der Lebensstätte. Denn da so gut wie alle gebäudebewohnenden Arten ihre Niststätten wiederholt benutzen (sogenannte „Standortreue“), sind diese ganzjährig geschützt.
Sowohl während als auch nach der Fortpflanzungssaison dürfen also Brutplätze und Fledermausquartiere nicht ohne weiteres beseitigt werden! Anders wird es bei temporär genutzten Lebensstätten gehandhabt, denn diese werden nur während einer Fortpflanzungsperiode genutzt und jedes Jahr neu gebaut, so beispielsweise Nestern Freibrütern wie Amseln, Elstern oder auch der Nebelkrähen.
MERKE: Alle Lebensstätten der gebäudebewohnenden Arten sind ganzjährig geschützt, auch wenn sie vorübergehend unbesetzt sind und dürfen nicht unzugänglich gemacht, entnommen oder gar zerstört werden!
Artenschutzrechtliche Prüfung
Durch den Schutzstatus der gebäudebewohnenden Tierarten ergibt sich bei Bauvorhaben eine Prüfungspflicht hinsichtlich möglicher artenschutzrechtlicher Konflikte. Wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass durch eine Maßnahme die Lebensstätten besonders geschützter Arten betroffen sein können, ist eine Prüfung der Verbotstatbestände nach § 44 Abs. 1 BNatSchG für jede Art erforderlich.
Sollten sich Lebensstätten an einem Objekt befinden, bei dem ein Bauvorhaben geplant ist, so muss in erster Instanz geprüft werden, ob das Eintreten der Verbotstatbestände vermieden werden kann. So wird in der Bauzeitenregelung festgelegt zu welchen Zeiten Bauvorhaben ohne vorherige Maßnahmen nicht stattfinden dürfen, um das Fang-, Verletzungs- und Tötungsverbot sowie das Störungsverbot einzuhalten.
MERKE: Baumaßnahmen dürfen nur während der Anwesenheitszeit der Tiere stattfinden, wenn die (leeren!) Lebensstätten vorher durch einen/eine Gutachter*in verschlossen wurden und eine entsprechende Ausnahmegenehmigung der zuständigen Behörde vorliegt.
Weiterhin muss geprüft werden, ob der Zugriff auf die (unbesetzten) Lebensstätten durch eine Sachkundige Person notwendig für das Gelingen des Bauvorhabens ist. Maßnahmen, die zur Erhaltung der ursprünglichen Lebensstätte beitragen, müssen ergriffen werden. Soll beispielsweise ein Dach neu gedeckt werden, obwohl sich Lebensstätten an der Fassade befinden, muss das Gerüst an der Stelle ausgelassen werden.
Ist eine Vermeidung der Beeinträchtigung unumgänglich, wodurch der Verbotstatbestand des Schutzes der Lebensstätten eintreffen würde, muss geprüft werden, ob vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen (CEF-Maßnahmen) die ökologische Funktion der von dem Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllen können. Bei CEF-Maßnahmen handelt es sich um Maßnahmen zur dauerhaften Sicherung der ökologischen Funktion (= continous ecological functionality). Zu beachten gilt hierbei, dass diese Maßnahmen bereits zum Zeitpunkt des Eingriffs wirksam sein müssen. Durch die Umsetzung von CEF-Maßnahmen gemäß § 44 Abs. 5 Nr. 3 BNatSchG tritt zwar kein Verbotstatbestand ein, das Vorhaben muss aber trotzdem durch die zuständige Behörde bewilligt werden. Teilweise sind CEF-Maßnahmen leider nicht möglich, besonders im Fall von Fledermaus-Lebensstätten gelten sie als nicht umsetzbar. Daher können Vorhaben, bei denen Vermeidungs- und CEF-Maßnahmen nicht umsetzbar sind, nur im Rahmen eines Ausnahmeverfahrens zugelassen werden.
Ausnahmen
Neben den Zugriffsverboten sind im Bundesnaturschutzgesetz auch Ausnahmen der solchen im § 45 Abs. 7 zu finden. So kann die zuständige Naturschutzbehörde (siehe Abschnitt „Die „Gebäudebrüterverordnung“/Zuständigkeiten“) im Einzelfall Ausnahmen von den Verboten des § 44 erlassen „aus anderen zwingenden Gründen des überwiegend öffentlichen Interesses einschließlich sozialer oder wirtschaftlicher Art“.
Hierbei gelten die Voraussetzungen, dass „zumutbare Alternativen nicht gegeben sind“ (Stichwort Vermeidung und CEF-Maßnahmen) und dass „sich der Erhaltungszustand der Population einer Art nicht verschlechtert“. Zu den sogenannten „Gründen des überwiegend öffentlichen Interesses“ zählen hierbei beispielsweise die Schaffung von Wohnraum und Arbeitsplätzen und im Falle von energetischen Sanierungen der Klimaschutz.
Weiterhin kann laut § 67 Abs. 2 BNatSchG ein Antrag auf Befreiung gewährt werden, wenn „die Durchführung der Vorschriften im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde“.
Die Voraussetzungen der Befreiung bei einer Sanierung sind, dass es sich um einen atypischen und vom Gesetzgebenden nicht bedachten Einzelfall handelt. Der Fall der Befreiung tritt bei Sanierungen daher selten auf, bei Abrissen, Aus- oder Umbauten dagegen ist ein Antrag auf Ausnahme der Zugriffsverbote nötig.
Die „Gebäudebrüterverordnung“/Zuständigkeiten
Bis September 2014 lagen die Zuständigkeiten für Ausnahmezulassungen in Berlin vollends bei der Obersten Naturschutzbehörde (heute: Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz). Durch Im Rahmen der 2014 eingeführten „Verordnung über Ausnahmen von Schutzvorschriften für besonders geschützte Tier- und Pflanzenarten“ (die sogenannte „Gebäudebrüterverordnung) nach § 45 Abs. 7 Satz 4 BNatSchG wurde die Zuständigkeiten bei Gebäudesanierungen auf die Unteren Naturschutzbehörden (in Berlin auf Bezirksebene) übertragen und das Verfahren zur Beantragung einer Befreiung auf ein Anzeigeverfahren umgestellt.
Damit eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden kann, müssen bei der zuständigen Behörde folgende Unterlagen eingereicht werden:
- Beschreibung des Bauvorhabens (inkl. Adresse)
- Angaben zur Bauherrschaft
- Art, Anzahl und Lage der im/am Gebäude vorhandenen Lebensstätten, die durch die Maßnahmen nicht erhalten werden können
- Zeitraum der Maßnahmen
- Konzept zum ökologischen Ausgleich (Art, Anzahl und Lage der Ersatzlebensstätten)
- Zeitpunkt der Fertigstellung des ökologischen Ausgleichs
Bei Abrissen, Aus- oder Umbauten ist weiterhin eine Befreiung nach § 67 BNatschG bei der Obersten Naturschutzbehörde zu beantragen.
Hierbei gilt zu beachten, dass in anderen Bundesländern die landesspezifische Gesetzgebung sowie regionale Vorgaben zu prüfen sind.
MERKE: Bei Sanierungen muss eine Anzeige nach § 2 der „Gebäudebrüterverordnung“ bei der Unteren Naturschutzbehörde des jeweiligen Bezirks erfolgen, bei Abrissen, Um- oder Ausbauten ein Antrag auf Ausnahmezulassung nach § 45 BNatSchG bei der Obersten Naturschutzbehörde (der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz).
Das Berliner Modell
Jedes Bauvorhaben, bei dem mindestens eine geschützte Lebensstätte betroffen ist, benötigt eine durchgängige artenschutzrechtliche Baubegleitung. Um diese gewährleisten zu können, wird nach dem „Berliner Modell“ die Umsetzung des Artenschutzes am Gebäude an Expert*innen delegiert. Diese sind sachkundige Biolog*innen, Ornitholog*innen oder Fledermauskundige, gemeinhin auch als Gutachter*innen im Bereich des Artenschutzes an Gebäuden bezeichnet. Zwar verbleibt die Vollzugsgewalt bei der zuständigen Behörde, jedoch obliegt die Begutachtung und damit die Prüfung der Verbotstatbestände sowie die Beratung und Abnahme bei den Gutachter*innen.
EMPFEHLUNG: grundsätzlich und frühzeitig eine/n Gutachter*in hinzuziehen! Die Auftragslage für die fachkundigen Personen ist sehr hoch, daher sollte ein Erstkontakt mindestens 1 Jahr vor dem geplanten Baubeginn geschehen, um Verzögerungen und hohe Kosten zu vermeiden
Ablauf eines Bauvorhabens
In Berlin kann eine Ausnahme der Zugriffsverbote und dadurch der Zugriff auf von Baumaßnahmen betroffenen Lebensstätten unter Berücksichtigung des Schutzstatus der gebäudebewohnenden Arten, der daraus resultierenden Prüfungspflicht und vor dem Hintergrund der Gebäudebrüterverordnung sowie dem Berliner Modell, genehmigt werden, wenn folgende Voraussetzungen gegeben sind:
- Vor Beginn der Baumaßnahme wurde geprüft, ob sich am vom Bauvorhaben betroffenen Gebäudeteil Fortpflanzungs- oder Ruhestätten befinden. Dafür wird dringend empfohlen eine fachkundige Person hinzuzuziehen.
- Sofern tatsächlich Fortpflanzungs- oder Ruhestätten von gebäudebewohnenden Arten vorhanden sind, ist dies der zuständigen Behörde vor Beginn der Baumaßnahme anzuzeigen. Durch eine fachkundige Person ist eine Kartierung (Erfassung und Dokumentation) durchzuführen und ein geeigneter ökologischer Ausgleich (künstliche Nist- oder Quartiershilfen) festzulegen.
- Der Zugriff auf Fortpflanzungs- oder Ruhestätten darf nur durch eine fachkundige Person erfolgen und erst durchgeführt werden, wenn die zuständige Behörde den Zugriff nicht innerhalb von zwei Wochen untersagt oder Einschränkungen verfügt.
- Die Umsetzung der Ausgleichsmaßnahmen (siehe Abschnitt Ersatzlebensstätten) muss durch den beauftragten Sachverständigen bestätigt und der zuständigen Behörde innerhalb von drei Monaten nach Abschluss der Baumaßnahmen nachgewiesen werden.
Ökologischer Ausgleich
Die Gebäudebrüterverordnung gibt vor, dass „im Zuge der Baumaßnahmen oder, wenn dies nicht möglich ist, unverzüglich nach deren Abschluss für die entfernten Fortpflanzungs- oder Ruhestätten an geeigneter Stelle der erforderliche ökologische Ausgleich in Form von Ersatzniststätten oder Ersatzquartieren einzubauen oder anzubringen und dauerhaft zu erhalten ist“.
Diese Ersatzmaßnahmen richten sich in ihrer Art, ihrem Umfang und ihrem Anbringungsort nach dem Kartierergebnis der fachkundigen Person. Grundsätzlich gilt, dass die Ersatzlebensstätten in gleicher Kapazität wie die zuvor entfernten Fortpflanzungs- oder Ruhestätten zu schaffen sind. Außerdem sind Ersatzniststätten für Turmfalken sowie Ersatzquartiere für Fledermäuse in doppelter Kapazität zu den entfernten ursprünglichen Lebensstätten zu schaffen. Für beseitigte Fortpflanzungs- oder Ruhestätten von Rauch- oder Mehlschwalben sind Nisthilfen oder Ersatzniststätten in halber Kapazität im örtlichen Zusammenhang zu Flächen mit für den Nestbau dieser Arten geeigneten Rahmenbedingungen zu schaffen. Für Haussperlinge gilt, dass durch einen artspezifischen Mehrfachnistkasten jeweils höchstens zwei Fortpflanzungs- oder Ruhestätten ersetzt werden.
Verstöße
Der Artenschutz bei Bauvorhaben wird nicht im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens beteiligt. Daher trägt die Bauherrschaft die alleinige Verantwortung für die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen. Dabei gilt zu beachten, dass neben dem Bauantrag bei der Baubehörde, gesonderte Anträge bei der zuständigen Naturschutzbehörde einzureichen sind.
Im § 69 des BNatSchG werden die Bußgeldvorschriften festgelegt. So heißt es hier, dass ordnungswidrig entgegen dem § 44 handelt, wer …
- einem wild lebenden Tier nachstellt, es fängt, verletzt oder tötet oder seine Entwicklungsformen aus der Natur entnimmt, beschädigt oder zerstört
- ein wild lebendes erheblich stört
- eine Fortpflanzungs- und Ruhestätte aus der Natur entnimmt, beschädigt oder zerstört
Diese Ordnungswidrigkeiten werden mit einem Bußgeld von bis zu 50.000 € bestraft.
Im § 71 des BNatSchG werden die Strafvorschriften festgelegt. Hier heißt es unter anderem, dass …
- eine in § 69 bezeichnete vorsätzliche Handlung gewerbs- oder gewohnheitsmäßig begeht mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft wird
- eine in § 69 bezeichnete vorsätzliche Handlung gewerbs- oder gewohnheitsmäßig begeht, obwohl er weiß, dass sich die Handlung auf ein Tier oder eine Pflanze einer streng geschützten Art bezieht, mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft wird
Weiterhin kann die zuständige Behörde schon bei einem Verdacht auf einen Verstoß gegen die Zugriffsverbote einen Baustopp erwirken, der das Bauvorhaben erheblich verzögern aber auch zusätzliche Kosten durch die Miete und das Auf- und Abbauen des Gerüsts schaffen kann.
Auch wenn die Bauvorhaben erst einmal nicht bei der Naturschutzbehörde anzeigepflichtig sind und daher der Artenschutz bei Bauvorhaben durch vermeintliche Unwissenheit oder vorsätzliche Missachtung nicht bedacht wird, ist zu empfehlen die Thematik frühzeitig mit in die Planung einzubinden, um zusätzliche Kosten und Zeitverzögerungen zu umgehen. Häufig werden die Behörden oder Naturschutzvereine o.ä. auf Bauvorhaben durch Bürger*innen aufmerksam gemacht, was besonders im Hinblick auf die steigende Aufmerksamkeit auf die Thematik und die hohe emotionale Verbundenheit der Bürger*innen zu den oftmals über Jahre beobachteten tierischen Nachbarn mit steigender Tendenz zu betrachten ist. Daher sollte auch bedacht werden, dass Verstöße und dadurch die Vergrämung oder gar das Töten von Tieren neben hohen Preisen zu weiteren negativen Folgen, beispielsweise negative Presse für ein Wohnungsunternehmen oder einen handwerklichen Betrieb führen kann.
MERKE: Wer den Artenschutz bei Bauvorhaben nicht bedenkt, hat neben einem Baustopp mit Ordnungswidrigkeitsverfahren und Bußgeldern bis zu 50.000 € sowie einem Freiheitsentzug von bis zu 5 Jahren und Geldstrafen zu rechnen!