Wildschweine im Berliner Stadtgebiet
NABU-Position zum Umgang mit Wildschweinen



Eine Zustandsbeschreibung
In der gesamten Bundesrepublik ist bereits seit mehreren Jahrzehnten ein starker Anstieg der Wildschweinpopulation zu verzeichnen. Speziell in Berlin ist es den Tieren gelungen, auch in städtische Lebensräume einzuwandern. Die Abschusszahlen schwanken in Berlin von Jahr zu Jahr sehr stark und stehen in keinem Zusammenhang mit der Populationsgröße. Diese zeigt jedoch langfristig einen anhaltend positiven Trend und kann daher als Indiz für einen anhaltenden Bestandszuwachs dienen. Man kann davon ausgehen, dass die tatsächliche Größe des Bestandes dem mehrfachen der maximalen Abschusszahlen entspricht. Der Fallwildanteil an der Jagdstrecke (mehrheitlich Unfälle) liegt bei rund 15% (Jagdjahr 2006/07).
In den Berliner Wäldern ist die Berliner Forstverwaltung für die Jagdausübung zuständig. Im Stadtgebiet wird nicht regulär gejagt, hier sind Stadtjäger im Einsatz, die wiederum der Forstverwaltung unterstellt sind. Es wird jedoch etwa ein Drittel des jährlichen Abschusses durch Stadtjäger in befriedeten Bereichen getätigt.
Mittlerweile zeigen sich in Berlin vielfach Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt. Die fast flächendeckende Wühltätigkeit der Wild- schweine in den Röhrichten und Waldgebieten bewirkt Änderungen der Zusammensetzung, eine Zerstörung des Bodengefüges und eine Freisetzung von Nährstoffen im Oberboden. Seltene und extrem gefährdete Insekten-, Amphibien- und bodenbrütende Vogelarten sind von diesen Veränderungen vermutlich ebenfalls betroffen.
Mögliche Gründe
- Eine flächendeckende Hege durch Jäger, die Wildschweine als attraktives Jagdwild schätzen und mittels (illegaler) Fütterung oder umfangreichen Bejagungshilfen („Kirrungen“) künstlich unterstützen.
- Der stark zunehmende Anbau von Mais, der für Wildschweine eine attraktive Nahrungsquelle darstellt und zusätzlich geschützte Ruheplätze bietet.
- Die Klimaerwärmung hat in den letzten zehn Jahren zu verstärkt milden Wintern ohne Schneelage bzw. gefrorenem Boden geführt. Die damit verbundene winterliche Nahrungs- verknappung entfiel und somit kam es nicht mehr zu den starken Einbrüchen in den jungen Altersklassen, die ansonsten üblich waren.
- Ein starker Nährstoffeintrag in die Landschaft durch Düngung und der Eintrag von Stickstoff aus der Luft, der zu einem allgemeinen Zuwachs an Biomasse und damit auch an Nahrung für Wildschweine führt.
- Berliner Besonderheit: Gärten und Grünanlagen stellen meist ganzjährig ein besonders attraktives Nahrungsangebot dar. Darüber hinaus werden Wildschweine in Berlin entgegen einem insbesondere in der Presse verbreitetem Eindruck von Teilen der Bevölkerung durchaus ausdrücklich begrüßt, eine Bejagung be- oder verhindert und ihre Anwesenheit im Siedlungsbereich durch passive und aktive Fütterung massiv unterstützt.
Lösungsmöglichkeiten und bisherige Ergebnisse
Bisher werden Wildschweine in Berlin überwiegend im Einzelabschuss, seltener auf Gesellschaftsjagden erlegt. Der überwiegende Teil wird dabei von der Kanzel aus an Kirrungen bejagt, da andere Jagdformen in weiten Teilen des Forstes aufgrund der hohen Besucherfrequentierung kaum umsetzbar sind. Außerdem ist laut Berliner Forstverwaltung eine höhere Abschussquote kaum machbar, da es keinen gesellschaftlichen Konsens über andere Jagdformen (z.B. Nachtjagd mit Hilfsmitteln) gibt. Bei der Jagd wird vor allem in die jungen Altersklassen eingegriffen, um den jährlichen Zuwachs zu reduzieren. Darüber hinaus wurde zeitweise die Jagd auf „Problemrotten“ fokussiert, um gezielt tradierte Verhaltens- weisen zu unterbinden. Eine chemisch-technische Beeinflussung der Fruchtbarkeit ist aus rechtlichen Gründen verboten und technisch nicht umsetzbar.
Sobald in Berlin in den Waldbereichen der Jagddruck erhöht wurde, kam es zu Wanderungen der Wildschweine in die Rand- und Siedlungsbereiche. Die gute Ernährungslage auch in diesen Gebieten führt mittlerweile dazu, dass zwei jährliche Geburtszyklen zur Regel gewor- den sind und auch Jungschweine gut genährt in den Winter gehen. Um die Anwohner unmittelbar vor Wildschweinschäden zu schützen, wird der Bau von wildschweinsicheren Zaunsystemen (mit Streifenfundament, nicht zu unterwühlen) und die Einhaltung bestimmter Verhaltensregeln (nicht füttern, Zugang zu Gärten und Friedhöfen geschlossen halten) empfohlen.
Forderungen des NABU Berlin zum Umgang mit Wildschweinen im Berliner Stadtgebiet
Da es für eine nachhaltige und deutliche Reduzierung des Wildschweinbestandes in Berlin weder einen jagdlichen noch einen gesellschaftlichen Konsens gibt, läuft es in einigen Bereichen neben der regulären Bejagung auf eine „friedliche Koexistenz“ zwischen Mensch und Wildschwein hinaus, wie sie in Berlin auch mit vielen anderen Tierarten seit langem praktiziert wird. Hierzu ist in erster Linie eine anhaltende und kontinuierliche Aufklärung der Bevölkerung erforderlich, um der unmittelbaren Betroffenheit vieler Bürger gerecht zu werden.
Die ehrenamtlich aktiven Stadtjäger müssen ihr Augenmerk weniger auf die Wildvermarktung als auf eine Reduktion unter anderem von so genannte „Problemrotten“ fokussieren und diese durch koordinierte Aktionen vollständig auflösen, wie dies in der Vergangenheit bereits teilweise praktiziert wurde. Im waldnahen Siedlungsbereich ist der Schutz von kleineren Grünflächen, Friedhöfen und Privatgärten durch eine geeignete Umzäunung zumutbar.
Aus Naturschutzsicht sind hohe Wildschweinbestände nicht per se problematisch, die Zerstörung von Sonderhabitaten ist bei kleineren Flächen durch passive Absperrungen vermeidbar. Andererseits ist aus Sicht des NABU Berlin auch keine passive oder aktive Förderung einer hohen Wildschweindichte wünschenswert. Daher ist insbesondere die bisherige jagdliche Praxis kritisch zu prüfen, sofern diese eine Fütterung in irgendeiner Form beinhaltet.
Eine intensive Kontrolle der Einhaltung des Fütterungsverbotes von Wildschweinen mit entsprechender strafrechtlicher Verfolgung wird in Berlin diskutiert. Nach allen Erfahrungen speziell in Berlin ist die Umsetzung eines allgemeinen Fütterungsverbotes kaum möglich, da sich die Fütterer von solchen Verboten kaum beeinflussen oder abschrecken lassen. Solange die jagdliche Praxis eine aktive Fütterung beinhaltet, ist ein derartiges Verbot auch völlig unglaubwürdig.
Die bisher vorgelegten Ergebnisse sind nicht zufrieden stellend. Da der NABU Berlin verstärkt auf das Problem angesprochen wird und sich teilweise ungerechtfertigten Schuldzu- weisungen ausgesetzt sieht, soll mit diesem Positionspapier eindeutig Stellung bezogen werden.
Grundsätzlich definiert der NABU die Jagd als nachhaltige Nutzung wildlebender, in ihrem Bestand nicht gefährdeter Tierarten. Bislang hat sich bei der Wildschweinpopulation Berlins die Jagd als einziges gangbares Regulativ gezeigt, welches jedoch in der Art und Weise der Ausübung überdacht werden muss.
Der NABU Berlin fordert daher:
- Die Fortsetzung der Wildschweinbejagung in der Fläche bei gleichzeitiger Einstellung der Fütterung über so genannte Kirrungen.
- Eine besondere Fokussierung auf die Wiedereinführung bzw. Beibehaltung der Schwerpunktbejagung in den Bereichen, in denen Schäden gehäuft vorkommen.
- Ein generelles Verbot jeglicher Fütterung sowie die intensive Kontrolle der Einhaltung dieses Verbots mit entsprechender strafrechtlicher Verfolgung. Eine aufklärende Broschüre ist nicht ausreichend.
- Offensive Öffentlichkeitsarbeit mit der deutlich Ursachen und Wirkungen von Wildschweinschäden und deren Möglichkeit sie abzuwehren kommuniziert werden (z.B. Zäune und Einfriedungen, Zulassen des Stadtjägers auf eigenem Grund und Boden).
- Bei der Öffentlichkeitsarbeit auch in Verbindung mit Jagden sind die Naturschutzverbände verstärkt einzubinden.
Prinzipiell abgelehnt werden:
- hormonelle Beeinflussung einer freilebenden Wildtierpopulation
- der Einsatz von Nachtzielgeräte
Wildschweine sind heute überall, auch in der Nähe der Menschen. Sie tauchen in Einkaufsparks am Stadtrand auf, zerwühlen Vorgärten oder spazieren am helllichten Tag über den Marktplatz. Trotz Bejagung haben sich die Bestände seit Anfang der 90er Jahre explosionsartig vermehrt. Mehr →