Vom Reiz der Unordnung
Wie Vielfalt in den Naturgarten kommt
Galten gestern noch Schottergärten als letzter Schrei der Hortikultur, scheint nun eine Trendwende hin zu mehr Natürlichkeit im Gang zu sein, ausgelöst nicht zuletzt durch die alarmierenden Meldungen über das Insektensterben. Das ist zweifellos eine gute Nachricht für den Naturschutz – und doch erst ein Anfang.
Denn bislang liegt das Augenmerk vieler Gärtner*innen hauptsächlich auf der Pflanzenauswahl. Und natürlich ist es richtig und wichtig, statt auf die drei „R“ (Rasen, Rosen, Rhododendron) auf bienenfreundliche Wildpflanzen und Vogelnährgehölze zu setzen. Ein Naturgarten zeichnet sich allerdings nicht bloß durch eine Vielfalt von Blütenpflanzen aus, sondern auch durch ein breites Angebot an dem, was Fachleute „Strukturen“ nennen. Gemeint sind die Schlupfwinkel und Nistplätze, die Astlöcher, Steinhaufen und Lehmpfützen – und vieles mehr.
Denn auch wenn Wildbienen und Schmetterlinge wunderbare Tiere sind, so gibt es doch viele Insekten, die sich für die als „insektenfreundlich“ gehandelten Stauden wenig interessieren. Dazu zählen zum Beispiel die Ohrwürmer, Heuschrecken, Laufkäfer, auch viele Schmetterlingsraupen, dazu Gliederfüßer wie Spinnen und Asseln sowie unzählige weitere Krabbeltiere, von denen sich wiederum größere Tiere ernähren.
Fressen ist nicht alles
Und auch die Bestäuber und Vögel, die man bei einer naturnahen Bepflanzung meist im Sinn hat, benötigen ja nicht nur Nahrung, sondern auch Rückzugs- und Nistmöglichkeiten. Was heißt das nun für Naturgarten-Einsteiger*innen? Um es auf eine kurze Formel zu bringen: mehr geschehen lassen, weniger eingreifen. Das fällt nicht allen Menschen leicht. Denn eigentlich ist ein Garten ja ein gestaltetes Stück Natur, in dem nach herkömmlicher Ansicht eben nur das wachsen darf, was dort gesät oder gepflanzt wurde. Und schön aussehen soll es obendrein. Schön heißt aber oft noch immer: ordentlich und adrett.
Wer einen Naturgarten pflegen möchte, muss sich daher auf eine andere Ästhetik einlassen als die der Gartenmagazine. Zum Beispiel spricht sich allmählich herum, dass man abgestorbene Stängel und Laub im Herbst nicht von den Beeten räumen sollte. Denn zwischen den Pflanzenresten finden überwinternde Kleinlebewesen Schutz, und vertrocknete Blütenstände enthalten oft noch Samen, die Vögel gern herauspicken.
Welke Blüten und abgestorbene Pflanzenreste finden viele Menschen jedoch hässlich – nicht zuletzt, weil der Anblick an Tod und Vergänglichkeit erinnert. Erst mit der Zeit entdeckt man vielleicht, dass Verwelktes und Vertrocknetes seinen eigenen ästhetischen Reiz haben kann.
Auch beim Unkrautjäten sollte man sich ein bisschen zurücknehmen. Viele Wildkräuter stellen eine Bereicherung für den Naturgarten dar, etwa weil sie bestimmte Insekten anziehen. Ein Beispiel ist die Knoblauchsrauke, die dem Aurorafalter als Raupenfutterpflanze dient.
Und doch heißt naturnah zu gärtnern nicht, im Umkehrschluss einfach alles wachsen zu lassen. Da die meisten Böden in Deutschland überdüngt sind, würden sich in der Regel die immer gleichen Stickstoffliebhaber wie Brennnessel, Giersch, Brombeere oder eben die Knoblauchsrauke durchsetzen. Ein solcher Garten wäre aus Sicht des Naturschutzes zwar immer noch viel besser als ein gemähter Rasen mit ein paar Rosen drumherum, jedoch nicht gerade ein Hort der Biodiversität.
Es geht im Naturgarten also darum, eine Balance zu finden zwischen Gestaltung und Zurückhaltung, zwischen Kontrolle und Laissezfaire. Man kann ihn mit einem Experiment vergleichen, dessen Ausgangsbedingungen man festsetzt, das man dann aber ungestört ablaufen lässt, um nur einzugreifen, wenn der Versuch aus den Ruder läuft.
Moder und Fäulnis
Ein bisschen Unordnung gilt es dabei zu tolerieren. Moder und Fäulnis etwa sind Zustände, die Menschen verständlicherweise nicht gerne mögen. Aber ganze Heerscharen von Organismen leben von modernden Pflanzenresten, verwesenden Früchten, Faulschlamm und, es muss gesagt werden, auch von Aas und Exkrementen.
Gerade letztere, zu denen die Sippen der Aas- und Dungkäfer gehören, haben es in unserer auf Hygiene bedachten Welt nicht leicht. Mutige lassen also vielleicht mal eine tote Maus im Garten liegen, die anderen legen zumindest einen Komposthaufen an und freuen sich über Rosenkäfer, deren Larven gern im Kompost leben.
Ebenfalls in die Kategorie „Moder und Fäulnis“ gehört das Totholz, das ökologisch besonders wertvoll ist, wenn es noch als Stamm aufrecht steht. Deshalb ist es ein großer Gewinn für die Natur, abgängige Bäume stehen, oder, wenn die Standsicherheit nicht mehr gegeben ist, zumindest liegen zu lassen. Denn auch liegendes Totholz behagt vielen Pilzen, Käfern und anderen Tieren, und kleinere Äste und Zweige sind, zu Totholzhaufen aufgeschichtet, ein Refugium für Insekten, Amphibien und Kleinsäuger.
Nun zum Thema Rasen, der im naturnahen Garten ja eine nur ab und an gemähte Wiese sein sollte – und möglichst kein dichter Teppich, sondern schütter und durchsetzt mit kahlen Stellen. Für Uneingeweihte erstmal auch kein hübscher Anblick, sehr wohl aber für Wildbienen. Anders als es die allgegenwärtigen Insektenhotels suggerieren, nisten nämlich fast drei Viertel der heimischen Wildbienen nicht in angebohrten Holzscheiben, sondern im Boden.
Wer Maulwürfe beherbergt, dürfte keinen Mangel an kahlen Stellen auf der Wiese zu beklagen haben (nicht einsäen und Hügel wenn möglich auch nicht einebnen!). Ansonsten kann man an einer sonnigen, trockenen Stelle ein "Sandarium" als Nistangebot für Sandbienen, Grabwespen & Co. anlegen.
Dazu schachtet man den Boden etwa einen halben Meter tief aus und füllt die Grube mit Sand, jedoch nicht mit Spiel- oder Flusssand, da Insekten in dem rieselnden Substrat keine Gänge anlegen können. Vielmehr sollte man bindigen, ungewaschenen Sand aus einer Kiesgrube verwenden. Den Erdaushub kann man gleich nebenan zu einem Hügel aufschütten, denn gerade Hänge und Böschungen sind bei vielen Wildbienen beliebt.
Totholzhaufen und Sandflächen zählen zu den so genannten Strukturelementen. Weitere Bausteine des Naturgartens sind:
• Teich. In kleinen Gärten tut es auch eine im Erdreich versenkte, wassergefüllte Mörtelwanne aus dem Baumarkt (einen Ast als Ausstiegshilfe für unfreiwillige Badegäste hineinstellen!).
• Trockenmauer. Sehr schick, aber aufwändig. Leichter und billiger anzulegen ist ein Steinhaufen aus Feldsteinen oder alten Ziegeln – am besten mehrere in Sonne und Schatten.
• Lehmwand oder -pfütze. Lehm ist ein begehrtes Baumaterial für viele Tiere, etwa Töpferwespen oder Schwalben und in Berlin mit seinen Sandböden rar.
• Hecke, Fassadenbegrünung, Blumenwiese und Bäume gehören selbstverständlich auch dazu.
Es geht aber nun nicht darum, möglichst viele Strukturelemente in den Garten hineinzustopfen. Gerade wer wenig Platz hat, sollte seine Auswahl danach treffen, was am besten in die Umgebung passt: Ein Sandarium zum Beispiel macht in einem schattigen Hofgarten wenig Sinn.
Auf die Vernetzung kommt es an
Wichtig ist auch, die Strukturelemente nicht wie Perlen an einer Kette nebeneinander aufzureihen, sondern sie durch Stauden, hohes Gras oder Hecken miteinander zu vernetzen. Denn eine Kröte wird eher nicht über den Golfrasen zum Gartenteich spazieren.
Das Prinzip „Vernetzung“ gilt übrigens auch über die Grenzen des eigenen Gartens hinaus. Ist die Umgebung öde und artenarm, werden sich auch in der grünsten Oase kaum Tiere einstellen.
Deshalb tun Naturgärtner*innen gut daran, über ihr Reich hinaus aktiv zu werden und Nachbarn, Bezirk, Wohnungsgesellschaften und andere Grundstückseigner in der Umgebung für naturnahe Grünflächenpflege zu gewinnen. Denn ein Naturgarten kann nicht als Insel im Ozean der Unwirtlichkeit funktionieren.
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