Mit dem Blick der Künstlerin
Friedhof-Fotografien von Helga Franz
Neue Perspektiven auf die Natur des Berliner Luisenstädtischen Friedhof eröffnet ein Projekt der Künstlerin Helga Franz. Wir zeigen Ausschnitte ihres Fotografie-Projekts. Mehr →
Der Friedhof St. Pius in Hohenschönhausen - Foto: Edelgard Backhaus
Einst vor den Toren der Stadt gelegen, ragen die grünen Inseln ehrfürchtig hinter den steinernen Mauern und schwarzen Gittertoren hervor. Sie erzählen viele zeitlose Geschichten von ihrer früheren ackerbaulichen Nutzung, von Kriegszeiten, von berühmten Persönlichkeiten und menschlichen Schicksalen, Ruhm und Ehre, Bau- und Gartenkultur und entsprechendem Schutz. Nicht zuletzt zeigen sie eine außergewöhnliche biologische Vielfalt, die sich hier infolge gärtnerischer, kulturhistorischer und landschaftlicher Pflege und der spezifischen Nutzung über lange Zeiträume entwickeln konnte. So bilden die 220 Berliner Friedhöfe ein vielfältiges grünes Mosaik auf über 1.000 Hektar Fläche – ein jeder zunächst unscheinbar, doch zugleich einzigartig in seiner Ausprägung.
Wandel in der Bestattungskultur, zweckgebundene Gebühren, kostenneutrales Wirtschaften, Vermarktung und Bebauung – seit einigen Jahren werden diese Schlagworte auch im Zusammenhang mit den historischen Friedhofsflächen in Debatten vorgehalten. Über zwei Drittel der Friedhöfe in Berlin werden von konfessionellen Trägern, etwa ein Drittel wird kommunal verwaltet. Entsprechend unterschiedlich sind die Ziele und Interessen, nicht zuletzt aufgrund finanzieller Faktoren. Denn lediglich die städtischen Friedhöfe erhalten Zuschüsse aus öffentlichen Haushaltsmitteln – etwa 3,60 € pro Quadratmeter – für die jährliche Pflege und Unterhaltung der Flächen. So haben sich die Verhältnisse in den letzten Jahren merklich zugespitzt: die Bestattungszahlen und der entsprechende Flächenbedarf sinken infolge einer geringeren Sterblichkeit sowie einer zunehmenden Präferenz für Urnenbestattungen (aktuell etwa 70 - 80 Prozent). Der Druck der Stadtplanung auf Friedhofsflächen für neuen Wohnraum und soziale Infrastruktur, vor allem Schulen und Versorgungseinrichtungen, wächst indes.
Neben der Funktion als letzte Ruhestätten, Orte der Trauer und einem Teil des Glaubensbekenntnisses der konfessionellen Träger sind die Berliner Friedhöfe auch immer mehr besondere Lebensräume für Menschen, Tiere und Pflanzen. Friedhöfe sind ebenso mit ihren kulturellen und natürlichen Elementen Orte mit besonderen Erholungsfunktionen für die angrenzenden Wohngebiete. Sie bilden in Großstädten wie Berlin grüne Oasen der Ruhe und Störungsarmut. Aus klimatischer und lufthygienischer Sicht haben sie positive Effekte auf das Mikroklima und die menschliche Gesundheit. Zudem sind sie Stätten der Begegnung und Bewahrer unseres kulturellen Erbes. Insbesondere innerhalb des grünflächenarmen S-Bahnringes sind die historischen Friedhöfe mit ihren wertvollen Vegetations- und Altbaumbeständen als besonders bedeutende, einzigartige „Orte der Artenvielfalt“ zu bewerten und nicht zu ersetzen. Dabei steigt die Artenvielfalt proportional mit der Flächengröße von Friedhofsquartieren und der Vernetzung mit anderen Grün- und Freiflächen.
Elfen-Krokus auf dem Friedhof Neukölln - Foto: Bernd Machatzi
Friedhöfe mit alten Laubbäumen sind für diverse, (teils) streng geschützte Brutvögel, Fledermäuse und Insekten sowie andere wirbellose Tierarten wertvolle Lebensräume, die in der Innenstadt oft keine vergleichbar geeigneten Habitate mehr finden. Berlins Friedhöfe beherbergen mehr als die Hälfte aller Berliner Wildpflanzenarten. Sie sind artenreicher als ähnlich große, zumeist intensiver genutzte Park- und Grünanlagen. Es kommen hier bevorzugt Pflanzen nährstoffliebender Laubwälder, Säume, Frischwiesen und Trockenrasen sowie Zeiger alter Gartenkultur vor.
Besonders charakteristisch ist eine Reihe von verwilderten Frühjahrsblühern, die bereits im zeitigen Frühjahr attraktive Blütenteppiche bilden. Hierzu zählen u.a. verschiedene Arten von verwilderten Zwiebelgewächsen, zum Beispiel Schneeglöckchen, Krokusse, Gelb- und Blausterne. Aufgrund der besonderen Standortbedingungen ist die Artenvielfalt auch bei Farnen, Moosen und Flechten außergewöhnlich hoch.
Friedhöfe spielen im gesamtstädtischen Biotopverbundsystem als Trittsteine eine sehr wichtige Rolle. So ist ihre Bedeutung für die Erhaltung der biologischen Vielfalt in Berlin insgesamt von extrem hohem Wert.
Über zehn Jahre liegt die Fortschreibung des Friedhofsentwicklungsplans (FEP) von 2006 auf Grundlage des Berliner Friedhofsgesetzes von 1995 bereits zurück. Gemäß § 6 des Gesetzes sind „Nutzungsänderungen der Friedhofsflächen […] nur langfristig und unter Beachtung stadtplanerischer, kultureller und landschaftsplanerischer Aspekte möglich“. Eine Folgenutzung eines Friedhofs oder einer Teilfläche, darunter auch bauliche oder sonstige, nicht grüne Nutzung war bis 2015 nur aus zwingendem öffentlichen Interesse und nach besonders eingehender Prüfung zulässig. Durch das Gesetz zur Beschleunigung des Wohnungsbaus wurde diese Regelung aufgeweicht.
In Berlin werden verschiedene Formen der Nachnutzung diskutiert. Zum einen wird darunter Bebauung verstanden, zum Beispiel Geflüchtetenunterkünfte oder neue Standorte für „grünes“ Wohnen wie die „Waldsiedlung“ im Wedding.
Zum anderen wird durch den Ev. Friedhofsverband Berlin Stadtmitte aktuell ein Projekt der grünen Nachnutzung auf 75 - 80 Hektar verfolgt, gefördert mit Mitteln aus dem Berliner Programm für Nachhaltige Entwicklung.
Als öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaft stehen dem Verband keine Einnahmen durch Kirchensteuern und keine öffentlichen Zuschüsse für die Pflege und Unterhaltung der Friedhofs- bzw. künftigen Grünflächen zur Verfügung, sodass sich ein Großteil der Flächen selber tragen bzw. Gelder generieren muss. Je intensiver die Nachnutzungen sind, desto stärker werden sie auch zu einer Nivellierung der vorhandenen biologischen Vielfalt führen.
Am Beispiel des Anita-Berber-Parks (ehem. Neuen St. Thomas Friedhof) wird sich in den nächsten Jahren zeigen, wie sich die friedhofstypischen Relikte weiterentwickeln. Die intensive Nutzung, insbesondere als Hundeauslaufgebiet lässt vermuten, dass ein Teil der Artenvielfalt aufgrund intensiver Nutzung verlorengehen wird. Positiv ist, dass für diese Fläche eine Bebauung ausgeschlossen ist.
„Berlin, die wachsende Stadt“ – ist in aller Munde, aber auch diese ist mit einem steigenden Anspruch an die Lebensqualität, das Wohlbefinden der Menschen und erhöhtem Druck auf die verbleibenden Grün- und Freiflächen verbunden. Wo ist also die Grenze zwischen unserem natürlichen und kulturellen Erbe mit all seinen Funktionen und potentiellem Bauland?
Wie kann unser Tafelsilber dauerhaft erhalten und gleichzeitig den neuen Ansprüchen gerecht werden?
Blauer Wald-Goldstern auf dem Christus-Friedhof - Foto: Bernd Machatzi
Mit diesen Fragen hat sich der Sachverständigenbeirat für Naturschutz und Landschaftspflege befasst. Er hat einen Beschluss erarbeitet, in dem er auf die herausragende Bedeutung der historischen Friedhofsflächen für Naturschutz, Stadtklima, Umweltgerechtigkeit und Erholung hinweist und sich für die weitgehende Erhaltung sowie finanzielle Unterstützung der Friedhofsträger von Seiten des Senats ausspricht. Aus Gründen der Daseinsvorsorge und des Allgemeinwohls sowie einer zukunftsweisenden, nachhaltigen Stadtentwicklung wird insbesondere empfohlen:
Eine Finanzierung im Zusammenhang mit der Aufwertung von Friedhofsflächen ist durch ihre stärkere Berücksichtigung für die Kompensation von Eingriffen auf Teilflächen denkbar.
Es sind beispielsweise kleinere Maßnahmen wie die Ergänzung von Alleen durch entsprechende Baumpflanzungen, die Aufwertung von artenarmen Rasenflächen durch eine artenfördernde Wiesenpflege sowie Maßnahmen zur Förderung der Flora und Fauna möglich. Eine entsprechende Konzeption liegt zum Beispiel bereits für den Tempelhofer Parkfriedhof vor. Hier ist als Ausgleichsmaßnahme unter anderem eine Entwicklung von artenarmen Rasenflächen in artenreiche Wiesen geplant.
Künftig sollten auch in unserer Hauptstadt für die Unterhaltung und Pflege der konfessionellen Friedhofsflächen entsprechende Mittel für eine gemeinsame Finanzierung der für die Stadt wichtigen Friedhofsflächen bereitgestellt werden. So wird beispielsweise in der Stadt Wien ein Teil der Kosten für die Pflege und Unterhaltung von Friedhofsflächen aus öffentlichen Haushaltsmitteln übernommen – aufgrund ihres Wertes als öffentliche Grün- und Erholungsflächen („grünpolitischer Wert“).
Autoren: Juliane Bauer, Bernd Machatzi und Manfred Schubert
Neue Perspektiven auf die Natur des Berliner Luisenstädtischen Friedhof eröffnet ein Projekt der Künstlerin Helga Franz. Wir zeigen Ausschnitte ihres Fotografie-Projekts. Mehr →
Der Bauboom macht auch vor Friedhöfen nicht halt. Der Umweltladen Mitte gibt mit drei vom NABU Berlin und der BLN erstellten Ausstellungen in der Berolina Galerie im Rathaus Mitte einen spannenden Einblick in die Artenvielfalt der Berliner Friedhöfe. Mehr →
Sträucher sind Lebensräume für Vögel und Insekten und echte Klimaretter. Es ist also höchste Zeit, Sträuchern die Anerkennung zu verschaffen, die sie verdienen. Unterstützen Sie uns dabei!
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