EU-Beschwerde geht in die nächste Runde
Bundesrepublik liefert Armutszeugnis in der Flugroutendiskussion ab
EU-Beschwerde über BER geht in die nächste Runde
Bundesrepublik liefert Armutszeugnis in der Flugroutendiskussion ab
Die EU-Kommission hat sich in den letzten Monaten mit der EU-Beschwerde der Berliner Naturschutzverbände NABU, Grüne Liga und des Bürgervereins Friedrichshagen beschäftigt. Die Anfang Oktober abgegebene Stellungnahme der Bundesregierung bestätigt die Annahme der Beschwerdeführer, dass bei der Flugroutendiskussion EU-Recht gebeugt wird. Seit dem 8. November hält die Kommission nun die Entgegnung der Verbände in den Händen.
Umweltverträglichkeitsprüfung fehlt
Die Stellungnahme der Bundesregierung zeigt, dass weder bei Durchführung des Planfeststellungsverfahrens für den Flughafen BER noch bei der späteren Festsetzung der An- und Abflugverfahren und damit zu keinem Zeitpunkt, eine Prüfung der jetzt tatsächlich zu erwartenden Auswirkungen auf die in der Beschwerde genannten FFH- und Vogelschutzgebiete im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung vorgenommen wurde. Auch will die Regierung weiterhin ein solches Verfahren nicht nachholen, was gegen geltendes EU-Recht verstößt.
Alte Pläne über den Haufen geworfen
Nach der damaligen Prognose sollte insbesondere der Müggelsee nicht durch Überflüge betroffen werden. Abflugverfahren, die diese Region und angrenzenden Gebiete betreffen, waren nicht Bestandteil einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Legt man aber nun die neuen Routen zu Grunde, wird für dieses Gebiet eine Lärmbelastung von deutlich mehr als 50 Db(A) erwartet. Neben dem Fluglärm wurden aber auch Überflug und Vogelschlag sowie die Beeinträchtigung von Gewässern bzw. Trinkwasserschutzgebieten zu keinem Zeitpunkt betrachtet.
Dieses Vorgehen empfinden die Naturschutzverbände als skandalös. „Wenn eine Planung mit einem damit verbundenen Prüfverfahren zu 100 Prozent über den Haufen geworfen wird und alle alten Ergebnisse und Erkenntnisse nicht mehr gültig sind, kann es nicht sein, dass man bei der Regierung meint, eine neuerliche Prüfung umgehen zu können“, ärgert sich Anja Sorges, Geschäftsführerin des NABU Berlin und Stefan Richter, Geschäftsführer der Grünen Liga sekundiert: „Die Routen und ihre Auswirkungen sind nach dem Prinzip der größtmöglichen Lärmminimierung für alle Betroffenen zu ermitteln. Es kann nicht sein, dass Partikularinteressen über die Gesundheit von Mensch und Natur gestellt werden.“
Erneute Einlassung der Beschwerdeführer
Die EU-Kommission hat nun um eine Kommentierung der Stellungnahme der Bundesregierung gebeten, die pünktlich zum Abgabetermin in Brüssel vorlag.
Die beiden Berliner Naturschutzverbände und der Bürgerverein Friedrichshagen bleiben dabei: „Im Rahmen der Beschwerdebegründung wurde ausführlich vorgetragen, dass die Verfahrensweise von Bund, Berlin und Brandenburg der Rechtsprechung des EuGH widerspricht“, erläutert Rechtsanwältin Franziska Heß die Position der Beschwerdeführer. Die Initiatoren fordern die Kommission daher auf, zu diesem Rechtsbruch Stellung zu nehmen und den Europäischen Gerichtshof wegen Verletzung der Unionsrechte durch die Bundesrepublik Deutschland anzurufen.
Hintergrund
Im Kern der Auseinandersetzung geht es darum, dass die Flugroute über den Müggelsee ohne Umweltverträglichkeitsprüfung über Umweltschutzgebiete nach europäischen Recht, sogenannte Natura 2000-Gebiete, gelegt wurde. Sie dienen dem länderübergreifende Schutz gefährdeter wildlebender heimischer Pflanzen- und Tierarten und ihrer natürlichen Lebensräume. Hier gilt aber ein besonders strenger Schutz. Gegen die Gefährdung der ökologisch äußerst sensiblen Müggelseeregion protestieren seit 1 1/2 Jahren allwöchentlich Bürger aus Berlins Südosten. Die Flugroute über den Müggelsee wurde trotz heftiger Kritik von Wissenschaftlern und Umweltverbänden vom Bundesamt für Flugsicherung - einer nachgeordneten Behörde des Bundesverkehrsministeriums - verordnet, obwohl sie zu keinem Zeitpunkt Gegenstand der BER-Planfeststellung und des Landesentwicklungsplans war. Im aktuellen Koalitionsvertrag ist die Suche nach Alternativen zur Müggelseeroute vereinbart. Nach Angaben offizieller Stellen sollen täglich bei Ostwind 130 Flugzeuge über den Müggelsee und die angrenzenden dicht besiedelten Gebiete auf Berliner und Brandenburger Gebiet starten. Zuletzt war bekannt geworden, dass die Flugkorridore wesentlich größere Gebiete verlärmen und kontaminieren könnten, als die bisherigen Angaben der Deutschen Flugsicherung vermuten ließen. Experten schließen mittlerweile auch eine Gefährdung des Berliner Trinkwassers durch die Müggelseeroute nicht mehr aus.
9. November 2012